1000 km Brevet in Göteborg / Schweden '14 (Bericht + Bilde)

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tailwind
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1000 km Brevet in Göteborg / Schweden '14 (Bericht + Bilde)

Beitragvon tailwind » 06.08.2014, 20:57

Der Plan

De Saison war gut gelaufen, ich habe 2 * 200, 2 * 300, 2 * 400 km und meinen ersten 600er entspannt gefinisht. Deswegen hatte ich beschlossen, meinen ersten 1000er zu probieren. Auch wenn es nichts wird: Ich wollte Erfahrung sammeln, das ist bei 600ern und 1000er nicht so oft möglich. Entschieden hatte ich mich für Göteborg, weil die Anreise von Hamburg aus so unkompliziert ist. Schweden kenne ich, die Preise sind human, jeder dort spricht englisch und die Natur ist toll. Veranstalter ist der Hisingens Cykel Klubb. Ein, zwei Mails reichten, dann hatte ich den Track und habe das Startgeld überwiesen.

Anfahrt

Es gibt mehrere Möglichkeiten, ohne Auto nach Göteborg zu kommen. Die Hinfahrt ging per Bahn über Puttgarden nach Kopenhagen. Weiter ging es dann mit dem Öresundstog (einer der wenigen Züge in Schweden der Fahrräder mitnimmt).

Sightseeing

Angereist war ich einen Tag früher als notwendig und konnte deswegen noch ein bisschen Sightseeing machen. Über Warmshowers habe ich zwei unglaublich nette Gastgeber gefunden, die mir ein paar Tips für eine Stadtrundfahrt gegeben haben. Die Schären vor Saltholm sind ab jetzt gemerkt zum Kajakfahren.

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Göteborg verfügt über zwei Brücken mit jeweils einer 'high priority bicycle lane', von der man jeweils eine schöne Aussicht über die Stadt haben sollte, beide habe ich trotz meiner Höhenangst angefahren und gaaanz vorsichtig über den Rand geschaut.

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Wenn man so sieht, was in anderen Ländern geht, ist es schade, dass die Köhlbrandbrücke in Hamburg für Radfahrer gesperrt ist. Danach habe ich noch in einem Fahrradgeschäft vorbei geschaut, das mir vom Gastgeber empfohlen wurde: ''Veloform, open from 16:00 - 20:00, best bike shop in town'. Best bbikeshop in town, na klar ... Im Shop angekommen gehen einem dann die Augen über: Wenn man nicht gerade über Nittoteile stolpert, dann stößt man sich an einem Surlyrahmen, einem Brompton, einer Crane oder an eine 853er Trekkingrahmen.

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Anders, der Besitzer, ist etwas älter, völlig entspannt und hat mich einem Kaffee eingeladen. Auf meine Frage, ob einen Nitto 135 Lenker zu verkaufen hat, war die Gegenfrage: Welche Breite? Rando-Heaven! Die Crane Bell, die ich gerne haben wollte, hatte er leider nicht in Messing. Dann hatte ich noch eine Unterhaltung mit jemandem, der den 853er Trekkingrahmen gabaut hatte: Einen Hobbyrahmenbauer lernt man auch nicht alle Tage kennen.

Start

Übernachtet habe ich in den Clubräumen vom Hisingens Cykel Klubb. Das war ein sehr nettes Entgegenkommen von Ake, einem der Organisatoren. Eine Übernachtung in einem Hotel hätte dazu geführt, dass ich um fünf hätte raus müssen, Gepäck auf das Rad laden, um am Start die vier Taschen und den Frontgepäckträger wieder demontieren zu müssen. Kurzer Talk vor dem Start: Fünfzehn Mitglieder des Hisingens CK haben sich für die Cyclassics angemeldet und freuen sich darauf, denn in Schweden scheint es nicht denkbar zu sein, für ein Radrennen Strecken für den restlichen Verkehr zu sperren.

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Den Track hatte ich mir zu Hause heruntergeladen, aber mir fehlten die Kontrollpunkte. Als ich danach gefragt habe, hat Daniel, einer der Organisatoren, mir die Kontrollpunkte aus seiner Dropbox auf den Rechner geladen. Zum Überspielen auf das GPS fehlte aber die Zeit, weil ich zusammen mit den anderen starten wollte. Ein ziemlicher Fehler, wie sich später herausstellen sollte.

Gefahren werden sollten 1.000 km, aufgeteilt in drei Tage (Do. 350, Fr. 300, Sa. 360 km). Die angekündigten 8.000 Höhenmeter fand ich fair. Die Strecke war als Kleeblatt geplant: Göteborg (GB) - Trollhättan (TH), TH - TH und TH - GB. In Trollhättan hatten die Organisatoren das Erdgeschoß eines Vandrahejms gemietet, in dem wir zweimal übernachten und frühstücken konnten. Ein Gepäcktransport nach Trollhättan und wieder zurück war ebenfalls organisiert. Angemeldet hatten sich 30 Fahrer, davon bestimmt ein Drittel Rookies, eine davon ohne Brevet-Erfahrung - Racing und Triathlon only. Auch dabei einige sehr starke Fahrer, die PBP in 66 Stunden gefahren sein sollen.

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Tag 1

Ich hatte mir die Höhenprofile der Strecke ausgedruckt und gehörigen Respekt vor der ersten Etappe. Jede Menge kleiner Hügel, höher als in Ostholsten, aber niedriger als im Weserbergland. Das Brevet begann aber damit, dass meine Schaltung nicht richtig funktionierte. Ich war mit zwei Gepäckträgern und vier Packtaschen angereist und war in Göteborg anscheinend einen kleinen Hügel mit zuviel Kraft hochgefahren, so dass es hinten gekracht hat. Ein Defekt war aber zu dem Zeitpunkt nicht festzustellen. Jedesmal, wenn ich nun hinten auf eins der oberen drei Ritzel geschaltet hatte, sprang vorne die Kette auf ein kleines Kettenblatt. Wenn man Hügel fahren will ist das ziemlich unpraktisch. Zuerst dachte ich, dass die Kette angerissen war und erst bei km 100 konnte ich den Übertäter identifizieren: Das Kettenschloss. Nachdem ich das ausgetauscht hatte, lief alles wieder wie geschmiert.

tailwind

Wir sind ca. 250 km nach Norden gefahren, bis an die Norwegisch-Schwedische Grenze. Die ganze Zeit hat uns ein Südwest-Wind getrieben. Erster Kontrollpunkt war nach 75 km in Skärhamn. Bei schwedischen Brevets hat man anscheinend die freie Wahl: Das ganze Dorf ist ein Kontrollpunkt (es gab nur eine Ausnahme). Weil es an der Küste entlang ging, mußten wir hin- und wieder kleine Schlenker fahren und hatten dann eine Zeitlang den Wind von vorn: Nicht so schön, das lies böses für den Rückweg erahnen.

Rookies

Bei km 30 habe ich die anderen ziehen lassen, mir war das Tempo zu hoch und bei 360 km pro Tag muß ich mir meine Kräfte gut einteilen, finishen kann ich, aber nie schnell. Dann habe ich Mads kennengelernt und bin mit ihm die ersten 100 km gefahren: Mads ist seine erste Brevet-Saison gefahren, war gut drauf und wollte die 1.000 probieren. Kein Licht, kein GPS, keine Gepäcktaschen, nur ein kleiner Rucksack und ein Mobiltelefon mit externem Akku für den Track. Nördlich von Skärhamn, dem ersten Kontrollpunkt, bekamen dann wir Verstärkung durch drei weitere Fahrer, die von hinten aufschlossen: Ainar, Carlotta und Gerry der HCK-Präsi. Hinter Skärhamn sind wir dann in die Hügel gefahren. Es ging die nächsten 150 km nur noch rauf und runter, bis zur norwegischen Grenze. Mit 15 km/h den Hügel rauf, mit 50 km/h runter. Das ging richtig in die Beine, so etwas hatte ich dieser Intensität bisher noch nie gemacht.

Höhenangst

Es ging immer mal wieder über mehrere, spektakulär hohe Brücken. Um die Sache für mich spannender zu machen, haben die Brückenbauer auf den ersten Metern immer einen Windschutz verbaut, der dann plötzlich in der Mitte fehlt. Zur Höhenangst kriegen dann Leute wie ich noch zusätzlich Panik, weil man auf einmal vom Wind dicht an das, meiner Meinung nach viel zu niedrige, Geländer gedrückt wird.

Pausen machen lahme Beine

Zwischendurch hatte ich die vier ziehen lassen, deren Tempo war mir zu hoch. In einer Autobahnraststätte habe ich sie dann wieder getroffen. Die saßen entspannt an einem Tisch, warteten auf ihr Essen und waren mit ihren Smartphones beschäftigt. Wer später kommt, darf früher gehen. Das habe ich dann auch gemacht, nachdem ich mein Essen runtergeschlungen hatte. Ich habe wieder mein Tempo angeschlagen und bin weiter. Später habe ich erfahren, dass eine aus der Gruppe einen Einbruch hatte und die anderen versucht haben, sie mit durchzuziehen und dabei das Zeitlimit überschritten haben.

Funkloch im Nirgendwo

An der Norwegischen Grenze wollte ich eine Erfolgsmeldung twittern, aber das war so weit ab vom Schuß, dass ich in einem Funkloch saß. Man hatte mich vorgewarnt: An dem Kontrollpunkt an der Norwegischen Grenze noch einmal auftanken, denn dahinter fährt man knapp 100 km durch das Nirgendwo. Und gegen den Südwestwind ...

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Daniel

Im Dunkeln, 40 km vor dem dritten Kontrollpunkt in Trollhättern, mußte ich noch mal vom Rad und Pause machen. Nach 10 min Sitzen kamen noch weiterer Fahrer den Hügel hoch: Daniel, einer der Organisatoren, fährt auch mit Schutzblechen und Lenkertasche. Ich hab den Riegel weggeworfen, bin aufs Rad und wir sind dann weiter Richtung Ziel.

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Während der Fahrt habe ich dann erfahren, dass die Pläne geändert waren und wir nicht im Vandrahejm übernachten, wie vor einem Monat geplant, sondern das ein extra Haus angemietet war. Uups ...

noch ein Defekt

20 km vor dem Ziel dann der zweite Defekt. Meine Kette hatte sich so dermassen massiv verhakt dass ich die vordere Kurbel abnehmen mußte. Daniel habe ich dann weggeschickt, weil er zum einen dringend schlafen wollte und zum anderen, weil ich das alleine fixen konnte. Als die Kette wieder auflag und ich losfuhr, fiel mir ein, dass ich nicht nach den Koordinaten der neuen Übernachtungsstation gefragt hatte. Um halb eins war ich in Trollhättan.

Burger

Mein Plan war es, den Streckenanfang des zweiten Tracks anzufahren und nach dem Haus zu suchen, vor dem der markante Trailer stehen mußte, mit dem das Gepäck transportiert wurde. Vorher gab es einen Glücksfall: Ein paar Migranten versuchen sich eine Existenz aufzubauen indem sie Burger verkaufen. Jenseits jeglicher Gewerkschaftvorschriften war der Laden noch mitten in der Nacht geöffnet und ich habe die besten Burger bekommen, die ich je hatte.

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Wenn es sich rumspricht, wie das Preisleistungsverhältnis bei Burgen sein kann, können die Industrieburgerbrater in Trollhätten ihre Geschäfte dicht machen. Zwei Cheeseburger und eine Coke haben mir zu neuen Lebensgeistern verholfen.

Fuck

Das Haus für die Übernachtung, in der all meine Sachen lagen, habe ich trotz längerer Suche nicht gefunden. Ich habe mir dann einen Park gesucht, den Biwakschlafsack herausgekramt und mich um 2:00 schlafen gelegt. Wertung hin- der her, das Brevet wollte ich auf jeden Fall zu Ende fahren. Von so einer Orgapanne lasse ich mir das Brevetfahren doch nicht vermiesen. Aber ich hatte den Kontrollpunkt nicht angefahren und war aus der Wertung.
Zuletzt geändert von tailwind am 08.08.2014, 22:27, insgesamt 7-mal geändert.
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Beitragvon tailwind » 07.08.2014, 22:03

Tag 2/3 - Who dares wins

Ich habe dann drei Stunden geschlafen und hatte mehrere Probleme: Das schlimmste war, dass ich den Kontrollpunkt nicht angefahren war - mit anderen Worten, ich war raus aus der Wertung. Dann hatte ich kein Wasser mehr und Trollhättan ist nicht die Stadt der Frühaufsteher. Und meine Riegelration für Tag 2 lag sonstwo. Mein Plan war es, sehr früh loszufahren, mir auf der Strecke Wasser zu organisieren, mich überholen zu lassen und mir bei der Gelegenheit die Koordinaten vom Haus zu besorgen, damit ich Abends an meine Sachen komme. Ich hatte dreihundert Meter vom Trackbeginn entfernt geschlafen, bin zum Startpunkt gefahren und dann losgefahren. Who dares wins: Hundert Meter hinter dem Startpunkt stand ein Rennrad vor einem Haus. Ein Rennrad, draussen um fünf Uhr morgens?

Zehn Minuten später hatte ich mein Wasser aufgefüllt, meine Riegel verstaut und mir eine Regenjacke besorgt, denn es sollte Abends regnen. Ich habe dann jemanden gefragt, woher er die Koordinaten des Hauses hatte. 'Aus dem Forum natürlich.' Gut zu hören, dass die Orga über ein Forum lief, man hätte mich informieren sollen. Der Kontrollpunkt war bis um 7:00 offen und Stempeln konnte ich bei Thomas. Thomas ist fast 70, Mitglied im Hinsingens CK, hat ein Herz aus Gold, uns während der ganzen Fahrt betreut, den Gepäcktransport organisiert und war die ganze Zeit über per Handy zu erreichen - sofern ich Netz hatte. Mit einem Simyo Prepaid nach Schweden zu fahren, war eine von meinen schlechteren Ideen. Da roamt ein Hilfsprovider mit dem anderen ... Ich wurde dann freundlich von Christoffer aus Kopenhagen zum Frühstück eingeladen und war wieder im Geschäft.

Endlich flach

Die zweite Etappe sollte laut den Mitfahrern weit weniger hügelig werden als die erste. Dazu nur 300 km mit eher wenigen Höhenmetern - das hörte sich irgenwie gut an. Endlich flach. Fast die gesamten ersten 70 km bis zum Kontrollpunkt in Lindköping waren flach. Wo ich am ersten Tag noch am schwitzen war und auf den Puls achten mußte, lief jetzt alles wie geschmiert. Der Körper hatte sich völlig umgestellt: Der Puls ging nicht mehr hoch und die Geschwindigkeit war konstant, ich konnte endlich mal entspannt Kilometer machen.

Hitze, Gegenwind und Steigungen

Hinter Lindköping ging es auf die Schnellstrassen, wo wir auf einem 50 cm breitem Standstreifen gefahren sind, manchmal auch auf der Strasse. Zuerst ist mir das böse aufgestossen, bis ich dann kapiert habe, dass wir uns auf diesen Strassen wohl erholen sollten: Im Gegensatz zu den Nebenstrassen wird bei den Hauptstrassen darauf geachtet, dass die Steigungen möglichst flach sind. In Hjö war der nächste Kontrollpunkt, der auch gleichzeitig der Wendepunkt auf Weg zurück nach Trollhättan war. Ein paar Mitfahrer hatten an der Ortseinfahrt bei einem 'Schweden' eine Pause eingelegt. Mir war aber nicht nach Köttbullar und Pölser und ich war sicher, dass es im Ortskern etwas besseres gab. Wer sucht, der findet: Direkt am Marktplatz gab es ein chinesisches Restaurant.

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Nach der Mittagspause wurde es immer wärmer und das Fahren immer zäher. Wir hatten anständigen Gegenwind und wir sind, verteilt auf vielleicht 60 km, permanent bergauf gefahren. Dazu ein ruppiger Asphalt und Du kommst kaum noch voran, obwohl man das gleiche leistet, wie auf den Kilometern davor. Ich habe dann an einer schattigen Stelle im Graben Pause gemacht und mir Gel angemischt. Viel hilft viel, also gleich noch ein zweites hinterher. Ein paar Minuten später kam ein Mitfahrer, Kristian, angeradelt der wegen Magenproblemen etwas angeschlagen war und wir sind dann bis zum nächsten Kontrollpunkt in Fallköping zusammen gefahren und haben uns gegenseitig durch den Wind gezogen - das war echt eine miese Plackerei.

Endlich ein Bett

In Fallköping wollte Kristian noch etwas länger sitzen und ich bin allein weiter gefahren. Irgendwie habe ich dann die zweite Luft bekommen und der Rückweg nach Trollhättan lief gut. Ich bin kurz vor Mitternacht, kurz vor dem Ziel, noch einen Schlenker gefahren und habe mir schnell ein paar Burger bei den Migranten besorgt. Unsere Unterkunft war ein gelb angestrichenes, typisches schwedisches Holzhaus, zwei Stockwerke, völlig verwinkelt mit bestimmt zehn Zimmern und mehreren Treppen und sah mittlerweile aus wie ein Militärlager. Nach Mitternacht immer noch hell beleuchtet, alle Türen offen und Unordnung und Aufbruch wohin man auch hin sah.

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Das erste was ich gemacht habe, war zwei alkoholfreie Weizen zu trinken, die ich mir vor der Fahrt besorgt hatte. Danach habe ich mich über die Burger hergemacht. Ein Mitfahrer war noch wach und hat mich darauf hingewiesen, dass ich mich auch hätte am Kühlschrank bedienen können: Ein Blick in den selben hat dann gezeigt, das Burger und Weizen die bessere Wahl waren. Vorbereitet waren Mikrowellengerichte und Lightbier. Auf meine Frage, wie der Weg nach Fallköping war, hat der andere Fahrer nur die Augen verdreht. Ich war anscheinend nicht der einzige, der Probleme hatte.

Nach der Tour ist vor der Tour

Dann habe ich Rad neu bepackt, die Riegel aufgefüllt, die neue Karte in die Hülle der Lenkertasche gesteckt und die Kette abgeschmiert. Um eins war ich Bett, der Wecker war auf fünf gestellt. Ich wollte früh los, denn laut Kontrollheft waren es 110 km bis zum nächsten Kontrollpunkt und der war nur bis gegen Mittag offen.
Zuletzt geändert von tailwind am 08.08.2014, 22:36, insgesamt 2-mal geändert.
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Beitragvon tailwind » 08.08.2014, 19:17

Tag 3/3 - alles wird gut

Das alles gut werden würde war schon beim aufstehen klar. Ich hatte den Wecker beim ersten Klingeln sofort ausgestellt, mich umgedreht und bin trotzem um 5:15 hoch - das war ein gutes Zeichen. Als ich mein Rad aus dem Keller geholt habe, habe ich gesehen das die Räder von Daniel und Christian nicht da waren.

Steel is real

Einer der Mitfahrer fuhr ein Rad mit Stahlrahmen, Schutzblechen aus Metall und Mittelzugbremsen, das stand auch im Keller. Beim Start dachte ich noch an einen Studenten der sich kein besseres Rad leisten konnte. Jetzt konnte ich mir das Rad genauer anschauen: Das Rad hatte S&S Kupplungen, eine moderne Schaltung und neue Laufräder. Auf meine Frage ob er die S&S Kupplungen nutzt, meinte der Fahrer nur: Ja, öfter.

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Der Fahrer hatte ein Miglia Trikot an, also kein Grund für Mitleid. Zusammen mit seinem Partner, der ein PBP Trikot an hatte, hat er mich dann auch kurz nach dem Start mit einem sehr hohen Tempo überholt. Ich muß echt mehr trainieren, am Rad liegt es anscheinend nicht.

Der wärmste Tag

Beim Frühstück habe ich erfahren das Kristian mit einem defekten Hinterrad ausgeschieden ist. Von meinem vierer Team des Vortages war auch weit und breit nichts zu sehen. Auf dem Weg zum Kontrollpunkt in Bollebygd bin ich sehr straight gefahren weil ich nicht allzuviel Luft für den Fall eines Defektes hatte. Das war der heisseste Tag der Tour, angekündigt waren 27 Grad. Den Kontrollpunkt bin ich aber dann doch zwei Stunden vor Schließung angefahren und hatte danach wieder extrem viel Luft für den nächsten.

Wenn der Körper streikt

Dann hatte ich plötzlich ein anderes Problem, das ich so noch nicht gesehen habe: Mein Puls ging urplötzlich extrem hoch, 90% von meinem Maximalpuls und bleib konstant hoch. Zuerst dachte ich hinsetzen, pausieren und den Puls wieder runterkommen lassen. Ging nicht. Dann dachte ich das der Pulsmesser defekt war, war er aber nicht. Dann habe ich eine weitere halbe Stunde lang eine Pause eingelegt, gegessen und getrunken aber trotzdem keine Änderung. Dann bin ich vorsichtig weitergefahren und beim ersten Hügel ging der Puls noch höher, da ich bin sofort von der Strasse runter, in den Schatten und habe mich per Mobiltelefon bei Thomas gemeldet.

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Danach habe ich mich hingelegt und Wikipedia gecheckt. Mein Tipp war, vermutlich zuviel Flüssigkeitsverlust aber ansonsten war alles OK: Keine Kopfschmerzen, keine Übelkeit, da war sonst gar nichts. Dann habe ich angefangen zu rechnen wann ich weiter muß um den nächsten Kontrollpunkt zu erreichen, späteste Abfahrtszeit wäre 17:00 gewesen. Also habe ich einen Plan B ausgearbeitet der darauf basierte das ich mein Rad in die Bahn nach Trollhättan schmuggeln kann weil hier in Schweden nur wenige Züge Fahrräder mitnehmen. Glück im Unglück: Die nächste Bahnstation war keine 5km entfernt. Um 16:00, drei Stunden später, war der Puls wieder unten und zwar urplötzlich, nicht wie erwartet langsam und in mehreren Schritten. Das erklär mir mal einer.

Mit schlechten Gewissen weiter

Da es die Bahn entlang nach Jönsköping ging und ich weitere Bahnhöfe, für den Fall das ich abbrechen mußte, auf der Strecke hatte bin ich testweise weitergefahren. Die Probleme waren wie weggeblasen und sind nicht wieder gekommen. Der Puls ging wieder in völlig normale Bereiche - da ist wohl demnächst ein Arztbesuch fällig.

Twitter & Thai

In Jönsköping ging es eine der wenigen Steigungen hoch die beschildert waren: 12% Die Steigung konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch sauber hochfahren. Den nächsten Kontrollpunkt in Svenjlunga bei km820 habe ich dann doch noch mit mehr Zeitpolster als erwartet geschafft. Dort gab es eine Riesenportion Thai Food und die Welt war wieder in Ordnung. Beim Thai hatte ich wieder Netz, etwas Zeit und habe bemerkt das meine Mitfahrer fleißig getwittert haben. Ich muß mich echt mehr mit diesen Foren beschäftigen in denen die Anweisungen für das Brevet gegeben werden. Ein Rundschreiben kurz vor Beginn per Mail, wie in Deutschland üblich, gab es nicht. Ebenso fehlte die Mobilfunknummer (für den Fall der Fälle) auf der Streckenbeschreibung. Auch das ist hier eigentlich Standard.

Naturschauspiel im Regen

Auf dem Weg nach Vanderberg, zur Statoil Tankstelle, dem einzigen festen Kontrollpunkt , wurde es dunkel und die Nachtfahrt begann. Meine Befürchtung war das die Tankstelle bei meiner Ankunft nicht mehr geöffnet war und mir das Wasser ausgehen würde. Also beim nächsten beleuchteten Sommerhaus angeklopft und die halbleere Flasche hochgehoben da der Besitzer kein english sprach. Hat gut geklappt muß ich sagen. 30km vor Vanderberg ging es erneut in die Hügel. Mitten im Wald war es pechschwarz, die Strasse zigfach geflickt, also mit einem Tarnmuster überzogen so das man die Unebenheiten nicht erahnen konnte und es fing an zu regnen. Das fahren wurde kompliziert, denn weil ich trotz LED nur 20m sehen konnte, konnte ich weder rechtzeitig schalten noch habe ich mich getraut die kurvigen Abfahrten ungebremst zu fahren. Das schöne in diesen Hügeln war ein Naturschauspiel das ich bisher nur einmal gesehen habe: Eine massive Krötenwanderung. Und ein Hügel nach dem anderen. In meinem GPS sind die Hügelkuppen eingezeichnet, die man auch sieht wenn man rauszoomt. Ich habe mir kurz die Strecke bis zum Kontrollpunkt Vanderberg angeschaut und eine ununterbrochene Kette von Hügeln gesehen. Ich habe nur noch geflucht weil ich meiner Meinung nach schon genug Hügel während dieser Tour gefahren bin.

Vanderberg - saturday night

In Vanderberg angekommen war alles nur noch gut. Die Tankstelle lag an der Autobahn, alles war hell beleuchtet, alle Nachtschwärmer der Umgebung waren hier, es war brechend voll und man konnte sich aussuchen ob man in der Tanke etwas zu sich nimmt, im MC/DC oder bei Burger King. Beim MC/DC gibt es meisten gratis WiFi also habe ich laut Claus' Anweisung zuerst in der Tanke gestempelt, danach die Industrieburger und zwei Kaffee eingeworfen und abschließend mich beim verlassen der Lokation erleichtert (Stamp, eat, pee). Der Regen hatte aufgehört und kam auch nicht wieder, es war Mitternacht und piewarm. Wir hatten Saturday night und die Schweden haben eine Kultur die ich bisher nicht kannte und raggare (oder ähnlich) heisst. Die besteht darin sich einen noch breitern US Strassenkreuzer, als die Freunde einen haben, zuzulegen und mit 50 Jahre altem, voll aufgedrehtem Rock'n Roll durch die Gegend zu cruisen.


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Wenn man Glück hat singt die gesamte Belegschaft im Auto begeistert mit. Das ging soweit das ich, mitten im Nichts, plötzlich Brian Adams' summer of 69' gehört habe. Zuerst dachte ich das es aus einem Haus kommt aber weit und breit waren keine Lichter zu sehen, die müssen mit ihrem Wagen an irgendeinem See gestanden und die Umgebung beschallt haben. Das ist eins meiner Lieblinglieder und ich habe im Dunkeln auf dem Feldweg angehalten und mir das Lied zu Ende angehört. Das war eindeutig der schönste Moment während dieses Brevets.

Nachtfahrt

Ich fahre gern bei Nacht. Ich hatte genug Kaffee intus, war satt und erstaunlicherweise tat noch nichts weh. Und ab ging es Richtung Ziel, die letzten 80km. Dann, bei km970 war die Motivation plötzlich völlig weg. Ich hatte noch fünf Stunden um zu finischen und mußte durch die Städte, die sich nahtlos Stadt um Stadt südlich an Göteborg anschließen. Das einzige was blieb war die Befürchtung das ich auf den letzten Metern aus Unkonzentriertheit einen Verkehrsunfall baue oder in mein Rad beschädige. Um sechs war ich am Ziel aber niemand war vor Ort. Das war aber auch nicht zu erwarten weil ich mein Kommen nicht ankündigen konnte weil ich in Vanderberg mal wieder permanent aus dem Mobilfunknetz geworfen wurde. Ich hatte aber noch genug Zeit zu stempeln und habe deswegen bei einem 24/7 noch zwei Kaffee getrunken bevor ich Thomas um acht (wir hatten Sonntag) per Handy geweckt habe.

Jeder zweite hat gefinished

So wie ich die Mitfahrer auf der Strecke gesehen habe konnten nur sieben von 30 gefinished haben. Die Fahrer, von denen ich dachte das sie schnell fahren hatte ich aber nicht gesehen. Laut Thomas haben 14 Fahrer gefinished, davon müssen sich also sieben ihren eigenen Fahrplan gemacht haben weil sie nicht mit am Frühstückstisch saßen - sehr beeindruckend.

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Essen & Schlafen

Die nächsten Stunden bestanden dann darin zum Vandrahejm zu gehen, einzuchecken, zwei Weizen zu trinken, endlich mal wieder zu duschen, irgendwie zu versuchen die 100m zum nächsten Thai zu schaffen und gegenüber im Supermarkt einzukaufen. Um 13:00 ging es ins Bett, um 21:00 bin ich nochmal hoch um etwas zu essen einzuwerfen und habe dann bis um 6:00 durchgeschlafen.

Fazit

Alles in allem eine gute Tour: Sport kombiniert mit Reisen und einem Kurzurlaub. Keine körperlichen Probleme. Knie, Rücken, Nacken, Handgelenke alles OK. Ich glaube man weiß das erst zu würdigen wenn man mal wirklich Probleme gehabt hat bzw hat. Das Rad hat auch alles mitgemacht und ich mußte nicht flicken. Mein Hintern fand zwischendurch die Sache nicht so gut, aber das war nur temporär.

Die Menschen

Und ich habe viele wirklich sehr freundliche Leute kennengelernt: Die Leute vom Hisingens Cykel Klubb, die Gastgeber von Warmshowers, den Besitzer und die Kunden vom Veloform und im Vandrahejm habe ich Max aus Frankreich getroffen. Eigentlich wollte ich nur an die Steckdose über seinem Tisch um meinen Laptop zu laden aber dann stellte sich raus das er auch auf Radtour war: Mit seinem recumbent trike war er in FR, NL, DEU, jetzt in Schweden und ist auf dem Weg zurück nach DK, DEU, NL, FR. Max hat es irgendwie gedreht fünf Monate Urlaub zu bekommen.

Danke

Geschafft habe ich die Tour nur weil mir andere Fahrer in den letzten Jahren von ihren Touren erzählt haben. Da reicht manchmal nur ein Satz am Rande um schlauer zu werden. Warum sie Touren abgebrochen haben, wie man ißt und trinkt, wie man Pausen angeht, was an Kleinigkeiten in die Lenkertasche gehört und das es Zeitfenster bei den Kontrollstellen gibt ist mir auch längere Zeit entgangen. Ach ja, trainieren hilft auch.

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Harterbrocken
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Beitragvon Harterbrocken » 09.08.2014, 02:59

:Kopfüberklatschen: :Kopfüberklatschen: :Kopfüberklatschen:
Bravo Tailwind! Du bist tatsächlich ein Typ mit Rückenwind. 1000 Kilometer Radfahren ist so verrückt, dass es schon viel Verständnis für seine Brevet-Protagonisten braucht. Deine Beobachtungsgabe und Deine Schilderungen zu Fahrradteilen, den Rädern Deiner Mitstreiter und natürlich Deinen Erlebnissen sowie die vielen spannenden Details faszinieren mich. Ganz gross.
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Leffti Peter
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Respekt u. Danke

Beitragvon Leffti Peter » 09.08.2014, 13:43

Klasse - Viel Anerkennung ;)

Danke für diesen tollen Bericht.

Leffti Peter
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Beitragvon alltagsfahrer » 11.08.2014, 20:14

tolle Leistung, schöner Bericht
da bekomme ich Lust auch mal was längeres zu fahren

Tom
CGB
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Beitragvon CGB » 12.08.2014, 07:29

saubere Leistung.
mein größten Respekt von mir!
"Make it stiff and strong and you will never be wrong"

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