Alleycat Pankt Saulopoly: Pauli bei Nacht (Bericht + Bilder)
- Harterbrocken
- A-Lizenz-Schreiber
- Beiträge: 1520
- Registriert: 28.05.2011, 09:43
- Wohnort: Williamsburg
Alleycat Pankt Saulopoly: Pauli bei Nacht (Bericht + Bilder)
„I kill that cat“ oder
Sankt Pauli bei Nacht
Rüpelradler, Rambos auf Rädern, Bike-Prolls – Radkurieren hängt oft ein zweifelhaftes Image an. Doch wie tickt die Szene wirklich? Sind die Typen besser als ihr schlechter Ruf? Oder stimmt das Vorurteil vom halsbrecherischen Lebenskünstler, der sich an keine Regeln hält? Um das Herauszufinden, ist eine „Alleycat“ ideal – ein konfuses Rennen durch die Stadt, an dem hauptsächlich Radkuriere teilnehmen. Ein Selbstversuch
Es stinkt. Dichter, blauer Qualm wabert durch die Schlachthofpassage in Hamburg Sankt Pauli. Wer sich keine Selbstgedrehte zwischen die Lippen gesteckt hat, gehört schon mal irgendwie nicht zum harten Kern einer Alleycat. Der englische Begriff beschreibt so etwas wie eine streunende Katze, die man vom Hof jagt. Ich haben keinen Hof, bin kein Radkurier und rauche nicht. Trotzdem stehe ich auf dem Schlachthof und werde gleich meine zweite Alleycat bestreiten. Trotz des Zigarettenrauchs versuche ich einen ungefilterten Blick auf „Pankt Saulopoly“ zu behalten.
Der Zungenbrecher ist eine Verballhornung aus den Worten St. Pauli und Monopoly. Dabei geht es grob darum, in zwei Stunden möglichst viele auf einer kopierten Karte gekennzeichnete Kontrollstellen anzufahren. Zwölf gibt es insgesamt; die erste und zwei später folgende sind auf dem „Moneyfest“ (auch das ein Wortspiel. Eigentlich heißt es Manifest) definiert. Alle anderen Stationen werden bei den Zwischenstopps durch Würfeln ermittelt. Eine knifflige Sache: Denn wer die Zahl der gerade erreichten Station würfelt – also beispielsweise an Checkpoint sieben eine sieben - , muss wie beim Monopoy-Brettspiel ins Gefängnis. Das befindet sich vorm Aldi in der Paul-Roosen-Straße. Außerdem gilt es an den Stopps sportliche oder geistige Aufgaben zu lösen, die bei Erfolg mit „Takken“ (Bonuspunkten) belohnt werden.
Pankt Saulopoly ist ein Mix aus Radrennen,
Schnitzeljagd, Würfelglück, Allgemeinwissen,
Denkschnelle und Punk-Party mit Anarcho-Flair
Die Spielregeln gibt es nur nur auf englisch. Denn etliche Teilnehmer sind aus dem Ausland angereist. Das alles macht die Pankt Saulopoly zu einem gelungenen Mix aus Radrennen, Schnitzeljagd, Würfelglück, Allgemeinwissen, Denkschnelle und Punk-Party mit Anarcho-Flair. Blättchen und Schwarzer Krauser, Piercing und Tattoo, Bierbuddel und laute Musik – wie jede Subkultur hat auch die Kurierszene ihre heiligen Insignien. Die Brooklyn-Rennmütze oder Campa-Kappe sind schon fast so etwas wie Pflicht-Accessoires. Immerhin kann man die einfach in den Schrank legen und muss nicht zum teuren Hautarzt, falls sich der persönliche Lebensstil (oder die Vorlieben des Partners) doch noch mal ändern. Gleiches gilt für den schwarzen Kaputzenpulli und die obligatorische Baggypans – der „Bikestyle“ dürfte inzwischen fast eine eigene Moderichtung sein. Warum sonst hat H&M erst kürzlich eine eigene Radkollektion verkauft? Aber mit solch konventionell-kommerziellen Kapitalistenkram darf man den Puristen in der Schlachthof-Halle nicht kommen. Ich trage trotzdem die nagelneue H&M-Radfahrhose. Dazu einen gelben Pulli mit Bonanzarad-Aufdruck sowie eine blaue Wollmütze. Damit fühle ich mich wie ein Kanarienvogel zwischen lauter Raben. Der schwarze Mainstream stürzt jeden Fotoapparat in eine tiefe Krise.
Ein Rad von der Stange mit Speichenreflektoren
ist für einen echten Kurier etwa so erstrebenswert wie der
Karstadt-Zweireiher mit Goldknöpfen für einen Hells Angel
An diesem kalten März-Abend bewegen sich Mensch und Maschine im Dunkeln und abseits der Norm. Ein Rad von der Stange mit Speichenreflektoren ist für einen echten Kurier etwa so erstrebenswert wie der Karstadt-Zweireiher mit Goldknöpfen für einen Hells Angel: geht gar nicht! Die Kutte des Kuriers ist seine Tasche, die unverrutschbar seinen Rücken panzert. Ich habe keine Tasche, sondern einen roten Rucksack. Geht wieder mal gar nicht! Fressen hungrige Hinterhofkatzen nicht gerne buntes Federvieh? Hoffentlich fängt keiner an zu twittern: #Paradiesvogel@alleycat oder so... . Vielleicht sollte ich mir auch einen rein zwitschern.
Bambus-Fixie bei der Anmeldung vorm Suicycle-Laden
Schon vorm Start um 21 Uhr kreisen die ersten Bierchen. Ich bin überrascht, wie viele Frauen das Abenteuer Alleycat angehen. Die meisten werden in kleinen Teams starten. Einzelfahrer wie ich sind eher die ortskundigen Hamburger und heißen „Trooper“. Musik dröhnt aus dem Lautsprecher eines Lastenrades, überall blinken rote und weiße LED-Lampen. Wüsste ich es nicht besser, könnte diese Versammlung auch eine illegale Hausbesetzer-Demo sein. Zum Glück fällt mein grünes Singlespeed-Rad nicht so negativ auf wie mein unpassendes Outfit.
Mein Störtebeker-Bierflaschenhalter
wird als „edel“ eingestuft. Nur: Ist das
nun ein Lob oder Tadel?
Im Gegenteil: Der braune Lederflaschenhalter am Oberrohr, in dem eine Buddel Störtebeker baumelt, wird mehrfach fotografiert und als „edel“ eingestuft. Nur bin ich mir nicht sicher, ob das lobend gemeint ist. Könnte auch ein Tadel sein. Ein Sportsfreund schnappt sich einen Edding und verwandelt den Störtebeker-Schriftzug kurzerhand in „Störtebiker“. „Kommt aus Wismar“, sagt er. „Echt gutes Bier. Edler Tropfen.“ Und das klingt nun wirklich nach einem Lob. Immerhin! Ansonsten ist mein Rad bestenfalls eine Basis, auf die man aufbauen kann. Der Brooks-Sattel kommt mir in diesen Kreisen auf einmal versnobt vor. Außerdem hat mein Renner ein Freilaufritzel (zumindest auf der Seite wo heute die Kette läuft) und gleich zwei Bremsen: geht ja wohl mal gleich wieder alles überhaupt nicht! Denn: „Brakeless“ heißt die ultimative Ausbaustufe eines perfekten Kurier-Fixies, also ein Starrgang-Rad ohne Bremsen – höchst illegal, aber sauschnell, verschleißarm und cool. Alles klar?
Eine Alleycat ist definitiv nichts
für Spießer. Trotzdem tragen überraschend
viele Fahrer einen Helm
Wer genau hinschaut, kann gleich mehrere Exemplare dieser Kamikaze-Kisten entdecken. Eine Alleycat ist definitiv nichts für Spießer. Trotzdem tragen überraschend viele Fahrer einen Helm. Besonders auffällig sind „Highroller“ - übereinander geschweißte Rahmen, auf denen die Fahrer wie auf Hochrädern thronen. So umständlich, kippelig und langsam wie die Dinger erscheinen, sind sie eigentlich so eine Art Anti-Fixie.
Plötzlich ertönt lautes Sirenengeheul. Es geht los „Staaaaaaaaart“, schnarrt eine Stimme durchs Megaphon. Urplötzlich steigen die Teilnehmer auf ihre Maschinen. Auch das folgt einem speziellen Ritual. Das Bein schwingt nicht nach hinten über den Sattel, sondern wird lässig nach vorn über den Lenker gehoben. Ich muss noch viel lernen. Für heute bleibe ich lieber bei der mir vertrauten Reitertechnik: Anlauf, linken Fuß aufs Pedal, rechtes Bein übers Hinterrad und los. Vor mir verschwinden viele, viele Rotlichter in der dunkeln St. Pauli-Nacht. Das Rennen hat begonnen. Schon nach 200 Metern wird mir klar, um was es bei einer Alleycat geht: Tempo!
Das Schlachthofareal wirkt wie ein Wespennest,
auf das einer einen Wasserschlauch hält.
Wild surren Radfahrer nach links und rechts
Zumindest wer gut abschneiden will, gibt richtig Gas und kümmert sich nicht um bürgerliche Regeln. Rote Ampel? Nur wenn es keine Lücke zwischen den Autos gibt, hältst Du an. Fußweg? Ideal, wenn er als Abkürzung dient. Gegenspur? Völlig okay, so lange keiner kommt. Spaziergänger? Läuft eine Alleycat, sollten sie besser die Stadt verlassen. Polizei? Die Devise heißt, nur nicht erwischen lassen. Das Schlachthofareal wirkt wie ein Wespennest, auf das einer einen Wasserschlauch hält. Wild surren Radfahrer nach links und rechts, einigen schießen geradeaus, andere über den Bürgersteig. Rudelbildung auf der Feldstraße. Fragende Fratzen: Wohin? Meine erste Station ist Nummer neun, das Bismarckdenkmal. Also heize ich am Dom vorbei, umkurve den Parkplatzsuchverkehr und düse mit Vollgas durch die für Autos gesperrte Glacischaussee. Logisch: Straßenkenntnisse sind bei einer Alleycat ein entscheidender Vorteil. Geschätzte fünf Minuten brauche ich zum Eisernen Kanzler, nicht schlecht.
Von wegen. Vor mir hat bereits ein halbes Dutzend den Checkpoint erreicht und löst Wissensaufgaben. Ich bin dran, finde aber mein Moneyfest nicht. Mist, der Zettel ist aus der Tasche geflogen. Scheiß H&M-Hose. Zum Glück kriege ich ein neues Moneyfest und Stadtplan. Dann ziehe ich eine laminierte Spielkarte und werfe die Würfel: keine Takken, nächste Station die fünf, das Pauli-Stadion. Auf geht’s. Bei der Abfahrt vom Denkmal haut es mich fast aus den Pedalen. Hier liegt Schnee. Meine 21 Millimeter schmalen Rennreifen schneiden und rutschen nervös über den glatten Untergrund. Ein elender Eiertanz. Rüber über den Millerntordamm; eigentlich ist rot. Aber alle fahren, von hinten und von gegenüber. Ich weiß: Es ist nicht okay, aber dieses Alleycat-Fieber steckt an. Es reißt mich einfach mit.
Diese verfluchte H&M-Hose.
Mein Moneyfest ist schon wieder weg.
Ich kann es nicht glauben
Der innere Schweinehund bellt: weiter, weiter, weiter, die Uhr läuft, die Straße ist fast frei und Kinder, denen ich ein schlechtes Beispiel sein könnte, nicht zu sehen. Darum fahre ich diagonal über die Budapester Straße zur Südtribühne. Wieder stehen Konkurrenten vor mir. Das gibt’s doch nicht; mein Moneyfest ist schon wieder weg. Ich kann es nicht glauben. Der Kontrollposten auch nicht. Diese verfluchte H&M-Hose. Aber er hat Mitleid mit dem Anfänger. „Hier“, sagt er. „Ein neues, aber es ist das letzte das du kriegst okay?“ Okay! Meine Würfel zeigen fünf und vier, also Stadion neun. Also wieder rüber zu Bismarck, wieder Schnee, wieder fast gestürzt, wieder keine Takken, wieder würfeln: Nummer fünf – Winklers Platz. Also mitten durchs Herz von Pauli – Detlef-Bremer-Straße, Annenstraße, Brigittenstraße, Gilbertstraße. Links, links, rechts, geradeaus, und ich dachte, ich kenne Hamburgs Straßen. Jetzt aber irre ich durch die Gassen zum Winklers Platz, leider nicht auf direktem Weg, so dass ich wertvolle Minuten verliere. Da, am Ende der Straße, Blinklichter. Das muss es sein. Das ist er. Das ist der Winklers Platz. Ich ziehe eine Karte: Takken-Chance, Wettfahrt gegen die Uhr.
Mit 35 km/h jage ich über den Gehweg.
Die Stoppuhr bleibt bei 25
Sekunden stehen. Jaaaaa, das gibt Takken
Es gilt, die 30-Sekunden-Bestzeit der Checkpoint-Crew über eine 200-Meter-Distanz zu schlagen. Und los: Ich gebe alles. Leicht geht es bergauf. Wendepunkt ist eine Litfaßsäule. Umdrehen und zurück, mit zirka 35 km/h fliege ich über die Gehwegplatten. Dann Vollbremsung. Die Stoppuhr bleibt bei 25 Sekunden stehen –jaaaaaa, das gibt Takken. Doch wie gewonnen so zerronnen: Meine Würfel zeigen fünf, ich bin an fünf. Also ab ins Gefängnis. Mein Moneyfest bleibt hier, stattdessen kriege ich eine Knastkarte. Zum Glück ist das „Jail“ nicht weit. In wenigen Minuten bin ich dort und kriege ein Glas Oldesloer Korn gemischt mit Sauerkrautsaft serviert – Strafe muss sein.
Wieder Winklers Platz, wieder würfeln? Nee, im Moneyfest steht schon von den Veranstaltern vorgeschrieben die Nummer 13. Zum Brahmskontor bei der Musikhalle müssen alle. Jeder Teilnehmer wird dort fotografiert. Verblüffend, wie gut Pankt Saulopoly organisiert ist. Zwölf Stationen, plus Start, plus Gefängnis und alle sind mit zwei bis vier Personen besetzt macht einen Personalaufwand mit Dutzenden von Helfern, Respekt! Nächster Checkpoint: Astrastube unter der Sternbrücke, meine bislang längste Strecke.
Ich soll singen: Bicycle von Queen.
Die Astrastube unter der Sternbrücke
wird zur Karaoke-Bar
Fast am Anschlag kurbele ich über den Neuen Kamp. Brrrr, der Wind ist eiskalt. Noch ist die Ampel am Pferdemarkt nicht rot. 100 Meter noch, ich gebe alles, erwische alle Ampeln bei grün – na ja, fast zumindest. Bei der Astrastube habe ich erneut Takken-Glück. Besser gesagt Unglück. Denn ich soll singen: Bicycle von Queen. In Karaoke-Manier gilt es, Punkte zu erträllern. Wer den Text am besten beherrscht, kriegt die meisten Takken. Bin gespannt, ob und wo die Fotos vom Brahmskontor und der Soundcheck an der Astrastube veröffentlicht werden. „Würfeln bitte“, sagt die Checkpoint-Chefin. Die sieben fällt, schon wieder Pauli-Stadion. Vorwärts, jenseits des legalen Tempolimits rausche ich über die Stresemannstraße. Der berüchtigte Blitz in der 30 km/h-Zone bleibt trotzdem kalt. Löst der bei Fahrrädern nicht aus? Oder war ich zu langsam?
Würfeln am Stadion: Astrastube. Schon wieder. Gibt’s das? Hin und her, her und hin. Wenn das so weiter geht, sehe ich heute keine anderen Stationen mehr. Gut, dass ich nicht ein zweites Mal singen muss.
Schon der dritte Korn mit
Sauerkrautgeschmack.
Was mache ich hier eigentlich?
Und was sagen die Würfel? Na, was schon? Stadion natürlich! Ich fühle mich wie ein Pendler und hechle wieder mit viel Druck unter dem Strese-Blitz hindurch, zum Neuer Pferdemarkt und in die Budapester. Dann – klar – mal wieder ins Gefängnis. Also wieder rein in die Wohlwillstraße. Ich verfranze mich. So ein Mist. Wo war noch der Aldi? An der Simon-von-Utrecht-Straße steht die Fahrradstaffel der Hamburger Polizei in voller Stärke und fischt einige Teilnehmer raus. Was für ein Kontrast: „Brakless“ und Rohloff-Speedhub in Polizeiausführung treffen aufeinander – herrlich. Weniger herrlich ist, dass ich immer noch keine Ahnung habe, wo es zum Aldi Paul-Rossen-Straße geht – und das obwohl ich doch schon zwei Mal dort war. Mein Rad ist natürlich weitgehend verkehrsgerecht (okay, keine Reflektoren und die Lampen blinken. Derartige Kleinigkeiten stören die uniformierte Rennleitung nicht). Also frage ich einen Beamten von der Fahrradstaffel: „Wissen Sie, wo der Aldi Paul-Roosen-Straße ist.“ „Zweite links, dann 300 Meter geradeaus“, kommt die zackige, aber freundliche Auskunft. Ich düse weiter und muss plötzlich tierisch lachen. Wann fragt man die Polizei schon mal nach dem Gefängnis? Dort gibt es zur Abwechslung dieses Mal Oldesloer ohne Krautgeschmack. Macht die Strafe aber nicht viel besser.
Ah, nächste Station ist die Kneipe „Frau Hedis Landgang“ – endlich mal was Neues. Erinnerungen werden wach. Nebenan im Nil habe ich vor acht Jahren geheiratet – verrückt. Heute sitze ich auf einem Minimal-Bike, fahre viel zu schnell und viel zu illegal durch St. Pauli. Was mache ich hier eigentlich?
Im Landgang steht die Luft. Lauter Elektro-Sound dröhnt aus den Boxen während ich würfele. Und so geht das weiter und weiter und weiter: Winklers Platz, Landgang, mal wieder Gefängnis (schon der dritte Korn!!!)... . Irgendwo legt einer bereits sein zweites Moneyfest vor. Auf meinem ist noch Platz. Ich bin zu langsam. Oder zu oft im Gefängnis. Wahrscheinlich beides. Inklusive der zwei verlorenen Zettel habe ich ja auch schon das dritte – hähä. Ambitionierte Teilnehmer haben ihre eigene Technik. Sie rasen mit dem Moneyfest im Mund zu den Checkpoints. Schließlich trägt ja auch eine Katze ihre Beute im Maul spazieren. Nie steigen die Profis vom Rad, sondern würfeln, lösen Aufgaben blitzschnell und sind so zügig wieder weg, wie sie gekommen sind. Weniger Ehrgeizige lungern auch schon mal in Pulks herum, klönen und trinken ein Bier. Ein Blick auf die Uhr: 21.45. Noch eine Viertelstunde. Dann habe ich diese Alleycat erledigt, zur Strecke gebracht, vom Hof gejagt.
Die Uhr tickt. Noch fünf Minuten.
Teufel nochmal, St. Paulis Gassen können
verdammt verwirrend sein
„Dinner for one“ schießt mir in den Kopf . Ja, das passt: „I kill that cat!“ Die elf fällt. Das ist der Wohlerspark. Wo ist der noch mal? Ein Blick auf die Karte: richtig, am Ende der Thadenstraße. Ich bin aber in der Otzenstraße. Links oder rechts? Die Uhr tickt. Noch fünf Minuten. Teufel nochmal, St. Paulis Gassen können verdammt verwirrend sein. Selbst wenn man hier Zuhause ist. Aber es reicht. Klack, der letzte Stempel. Mein Moneyfest ist voll.
„Fuck Alder, willst Du noch Takken verdienen“, fragt einer. Okay, was ist die Aufgabe? Erst zeigt er auf ein BMX-Rad, dann auf den dreieckigen 150-Meter-Parcours um ein eingezäuntes Rasenstück: „Mit dem Teil drei Runden unter einer Minute um den Kurs rennen.“ Danke, ich verzichte. „Ist auch besser so, mit deinen Schuhen“, meint er. Oh Mann, was ist denn nun, bitteschön, wieder mit meinen Schuhen?
War das jetzt geil oder kriminell?
Ich entscheide mich für geil.
Saugeil sogar!
Die Katze ist tot. Langsam rolle ich zum Feldstraßen-Bunker. Mir wird kalt. Meine Gedanken sind noch auf der Strecke: Bismarck, Pauli-Stadion, Bismarck, Gefängnis, Korn, Astrastube, Queen nachsingen... – was war das jetzt? Geil oder kriminell? Ich entscheide mich für geil. Saugeil sogar! Im Bunker steigt ab 23.30 Uhr die After-Alleycat-Party. Es gibt Kartoffelsuppe mit Wurststücken aus Plastikschalen. Dazu eine Astra-Knolle. Zwei DJs legen Elektro-Hiphop auf. Einige singen mit und sind textsicher. Jeder quatscht mit jedem. Oder probiert es zumindest. Ich suche nach bekannten Gesichtern; hier ein Schulterklopfen, dort ein Prösterchen. Es ist laut. Sehr laut. Zu laut. „Wann ist die nächste Alleycat“, schreie ich einen Typen an, der so aussieht, als wüsste er so was. Seine Antwort: Samstag, 13. April in Rostock. Okay, bis dann.
Manifestiert: mein Moneyfest
Sankt Pauli bei Nacht
Rüpelradler, Rambos auf Rädern, Bike-Prolls – Radkurieren hängt oft ein zweifelhaftes Image an. Doch wie tickt die Szene wirklich? Sind die Typen besser als ihr schlechter Ruf? Oder stimmt das Vorurteil vom halsbrecherischen Lebenskünstler, der sich an keine Regeln hält? Um das Herauszufinden, ist eine „Alleycat“ ideal – ein konfuses Rennen durch die Stadt, an dem hauptsächlich Radkuriere teilnehmen. Ein Selbstversuch
Es stinkt. Dichter, blauer Qualm wabert durch die Schlachthofpassage in Hamburg Sankt Pauli. Wer sich keine Selbstgedrehte zwischen die Lippen gesteckt hat, gehört schon mal irgendwie nicht zum harten Kern einer Alleycat. Der englische Begriff beschreibt so etwas wie eine streunende Katze, die man vom Hof jagt. Ich haben keinen Hof, bin kein Radkurier und rauche nicht. Trotzdem stehe ich auf dem Schlachthof und werde gleich meine zweite Alleycat bestreiten. Trotz des Zigarettenrauchs versuche ich einen ungefilterten Blick auf „Pankt Saulopoly“ zu behalten.
Der Zungenbrecher ist eine Verballhornung aus den Worten St. Pauli und Monopoly. Dabei geht es grob darum, in zwei Stunden möglichst viele auf einer kopierten Karte gekennzeichnete Kontrollstellen anzufahren. Zwölf gibt es insgesamt; die erste und zwei später folgende sind auf dem „Moneyfest“ (auch das ein Wortspiel. Eigentlich heißt es Manifest) definiert. Alle anderen Stationen werden bei den Zwischenstopps durch Würfeln ermittelt. Eine knifflige Sache: Denn wer die Zahl der gerade erreichten Station würfelt – also beispielsweise an Checkpoint sieben eine sieben - , muss wie beim Monopoy-Brettspiel ins Gefängnis. Das befindet sich vorm Aldi in der Paul-Roosen-Straße. Außerdem gilt es an den Stopps sportliche oder geistige Aufgaben zu lösen, die bei Erfolg mit „Takken“ (Bonuspunkten) belohnt werden.
Pankt Saulopoly ist ein Mix aus Radrennen,
Schnitzeljagd, Würfelglück, Allgemeinwissen,
Denkschnelle und Punk-Party mit Anarcho-Flair
Die Spielregeln gibt es nur nur auf englisch. Denn etliche Teilnehmer sind aus dem Ausland angereist. Das alles macht die Pankt Saulopoly zu einem gelungenen Mix aus Radrennen, Schnitzeljagd, Würfelglück, Allgemeinwissen, Denkschnelle und Punk-Party mit Anarcho-Flair. Blättchen und Schwarzer Krauser, Piercing und Tattoo, Bierbuddel und laute Musik – wie jede Subkultur hat auch die Kurierszene ihre heiligen Insignien. Die Brooklyn-Rennmütze oder Campa-Kappe sind schon fast so etwas wie Pflicht-Accessoires. Immerhin kann man die einfach in den Schrank legen und muss nicht zum teuren Hautarzt, falls sich der persönliche Lebensstil (oder die Vorlieben des Partners) doch noch mal ändern. Gleiches gilt für den schwarzen Kaputzenpulli und die obligatorische Baggypans – der „Bikestyle“ dürfte inzwischen fast eine eigene Moderichtung sein. Warum sonst hat H&M erst kürzlich eine eigene Radkollektion verkauft? Aber mit solch konventionell-kommerziellen Kapitalistenkram darf man den Puristen in der Schlachthof-Halle nicht kommen. Ich trage trotzdem die nagelneue H&M-Radfahrhose. Dazu einen gelben Pulli mit Bonanzarad-Aufdruck sowie eine blaue Wollmütze. Damit fühle ich mich wie ein Kanarienvogel zwischen lauter Raben. Der schwarze Mainstream stürzt jeden Fotoapparat in eine tiefe Krise.
Ein Rad von der Stange mit Speichenreflektoren
ist für einen echten Kurier etwa so erstrebenswert wie der
Karstadt-Zweireiher mit Goldknöpfen für einen Hells Angel
An diesem kalten März-Abend bewegen sich Mensch und Maschine im Dunkeln und abseits der Norm. Ein Rad von der Stange mit Speichenreflektoren ist für einen echten Kurier etwa so erstrebenswert wie der Karstadt-Zweireiher mit Goldknöpfen für einen Hells Angel: geht gar nicht! Die Kutte des Kuriers ist seine Tasche, die unverrutschbar seinen Rücken panzert. Ich habe keine Tasche, sondern einen roten Rucksack. Geht wieder mal gar nicht! Fressen hungrige Hinterhofkatzen nicht gerne buntes Federvieh? Hoffentlich fängt keiner an zu twittern: #Paradiesvogel@alleycat oder so... . Vielleicht sollte ich mir auch einen rein zwitschern.
Bambus-Fixie bei der Anmeldung vorm Suicycle-Laden
Schon vorm Start um 21 Uhr kreisen die ersten Bierchen. Ich bin überrascht, wie viele Frauen das Abenteuer Alleycat angehen. Die meisten werden in kleinen Teams starten. Einzelfahrer wie ich sind eher die ortskundigen Hamburger und heißen „Trooper“. Musik dröhnt aus dem Lautsprecher eines Lastenrades, überall blinken rote und weiße LED-Lampen. Wüsste ich es nicht besser, könnte diese Versammlung auch eine illegale Hausbesetzer-Demo sein. Zum Glück fällt mein grünes Singlespeed-Rad nicht so negativ auf wie mein unpassendes Outfit.
Mein Störtebeker-Bierflaschenhalter
wird als „edel“ eingestuft. Nur: Ist das
nun ein Lob oder Tadel?
Im Gegenteil: Der braune Lederflaschenhalter am Oberrohr, in dem eine Buddel Störtebeker baumelt, wird mehrfach fotografiert und als „edel“ eingestuft. Nur bin ich mir nicht sicher, ob das lobend gemeint ist. Könnte auch ein Tadel sein. Ein Sportsfreund schnappt sich einen Edding und verwandelt den Störtebeker-Schriftzug kurzerhand in „Störtebiker“. „Kommt aus Wismar“, sagt er. „Echt gutes Bier. Edler Tropfen.“ Und das klingt nun wirklich nach einem Lob. Immerhin! Ansonsten ist mein Rad bestenfalls eine Basis, auf die man aufbauen kann. Der Brooks-Sattel kommt mir in diesen Kreisen auf einmal versnobt vor. Außerdem hat mein Renner ein Freilaufritzel (zumindest auf der Seite wo heute die Kette läuft) und gleich zwei Bremsen: geht ja wohl mal gleich wieder alles überhaupt nicht! Denn: „Brakeless“ heißt die ultimative Ausbaustufe eines perfekten Kurier-Fixies, also ein Starrgang-Rad ohne Bremsen – höchst illegal, aber sauschnell, verschleißarm und cool. Alles klar?
Eine Alleycat ist definitiv nichts
für Spießer. Trotzdem tragen überraschend
viele Fahrer einen Helm
Wer genau hinschaut, kann gleich mehrere Exemplare dieser Kamikaze-Kisten entdecken. Eine Alleycat ist definitiv nichts für Spießer. Trotzdem tragen überraschend viele Fahrer einen Helm. Besonders auffällig sind „Highroller“ - übereinander geschweißte Rahmen, auf denen die Fahrer wie auf Hochrädern thronen. So umständlich, kippelig und langsam wie die Dinger erscheinen, sind sie eigentlich so eine Art Anti-Fixie.
Plötzlich ertönt lautes Sirenengeheul. Es geht los „Staaaaaaaaart“, schnarrt eine Stimme durchs Megaphon. Urplötzlich steigen die Teilnehmer auf ihre Maschinen. Auch das folgt einem speziellen Ritual. Das Bein schwingt nicht nach hinten über den Sattel, sondern wird lässig nach vorn über den Lenker gehoben. Ich muss noch viel lernen. Für heute bleibe ich lieber bei der mir vertrauten Reitertechnik: Anlauf, linken Fuß aufs Pedal, rechtes Bein übers Hinterrad und los. Vor mir verschwinden viele, viele Rotlichter in der dunkeln St. Pauli-Nacht. Das Rennen hat begonnen. Schon nach 200 Metern wird mir klar, um was es bei einer Alleycat geht: Tempo!
Das Schlachthofareal wirkt wie ein Wespennest,
auf das einer einen Wasserschlauch hält.
Wild surren Radfahrer nach links und rechts
Zumindest wer gut abschneiden will, gibt richtig Gas und kümmert sich nicht um bürgerliche Regeln. Rote Ampel? Nur wenn es keine Lücke zwischen den Autos gibt, hältst Du an. Fußweg? Ideal, wenn er als Abkürzung dient. Gegenspur? Völlig okay, so lange keiner kommt. Spaziergänger? Läuft eine Alleycat, sollten sie besser die Stadt verlassen. Polizei? Die Devise heißt, nur nicht erwischen lassen. Das Schlachthofareal wirkt wie ein Wespennest, auf das einer einen Wasserschlauch hält. Wild surren Radfahrer nach links und rechts, einigen schießen geradeaus, andere über den Bürgersteig. Rudelbildung auf der Feldstraße. Fragende Fratzen: Wohin? Meine erste Station ist Nummer neun, das Bismarckdenkmal. Also heize ich am Dom vorbei, umkurve den Parkplatzsuchverkehr und düse mit Vollgas durch die für Autos gesperrte Glacischaussee. Logisch: Straßenkenntnisse sind bei einer Alleycat ein entscheidender Vorteil. Geschätzte fünf Minuten brauche ich zum Eisernen Kanzler, nicht schlecht.
Von wegen. Vor mir hat bereits ein halbes Dutzend den Checkpoint erreicht und löst Wissensaufgaben. Ich bin dran, finde aber mein Moneyfest nicht. Mist, der Zettel ist aus der Tasche geflogen. Scheiß H&M-Hose. Zum Glück kriege ich ein neues Moneyfest und Stadtplan. Dann ziehe ich eine laminierte Spielkarte und werfe die Würfel: keine Takken, nächste Station die fünf, das Pauli-Stadion. Auf geht’s. Bei der Abfahrt vom Denkmal haut es mich fast aus den Pedalen. Hier liegt Schnee. Meine 21 Millimeter schmalen Rennreifen schneiden und rutschen nervös über den glatten Untergrund. Ein elender Eiertanz. Rüber über den Millerntordamm; eigentlich ist rot. Aber alle fahren, von hinten und von gegenüber. Ich weiß: Es ist nicht okay, aber dieses Alleycat-Fieber steckt an. Es reißt mich einfach mit.
Diese verfluchte H&M-Hose.
Mein Moneyfest ist schon wieder weg.
Ich kann es nicht glauben
Der innere Schweinehund bellt: weiter, weiter, weiter, die Uhr läuft, die Straße ist fast frei und Kinder, denen ich ein schlechtes Beispiel sein könnte, nicht zu sehen. Darum fahre ich diagonal über die Budapester Straße zur Südtribühne. Wieder stehen Konkurrenten vor mir. Das gibt’s doch nicht; mein Moneyfest ist schon wieder weg. Ich kann es nicht glauben. Der Kontrollposten auch nicht. Diese verfluchte H&M-Hose. Aber er hat Mitleid mit dem Anfänger. „Hier“, sagt er. „Ein neues, aber es ist das letzte das du kriegst okay?“ Okay! Meine Würfel zeigen fünf und vier, also Stadion neun. Also wieder rüber zu Bismarck, wieder Schnee, wieder fast gestürzt, wieder keine Takken, wieder würfeln: Nummer fünf – Winklers Platz. Also mitten durchs Herz von Pauli – Detlef-Bremer-Straße, Annenstraße, Brigittenstraße, Gilbertstraße. Links, links, rechts, geradeaus, und ich dachte, ich kenne Hamburgs Straßen. Jetzt aber irre ich durch die Gassen zum Winklers Platz, leider nicht auf direktem Weg, so dass ich wertvolle Minuten verliere. Da, am Ende der Straße, Blinklichter. Das muss es sein. Das ist er. Das ist der Winklers Platz. Ich ziehe eine Karte: Takken-Chance, Wettfahrt gegen die Uhr.
Mit 35 km/h jage ich über den Gehweg.
Die Stoppuhr bleibt bei 25
Sekunden stehen. Jaaaaa, das gibt Takken
Es gilt, die 30-Sekunden-Bestzeit der Checkpoint-Crew über eine 200-Meter-Distanz zu schlagen. Und los: Ich gebe alles. Leicht geht es bergauf. Wendepunkt ist eine Litfaßsäule. Umdrehen und zurück, mit zirka 35 km/h fliege ich über die Gehwegplatten. Dann Vollbremsung. Die Stoppuhr bleibt bei 25 Sekunden stehen –jaaaaaa, das gibt Takken. Doch wie gewonnen so zerronnen: Meine Würfel zeigen fünf, ich bin an fünf. Also ab ins Gefängnis. Mein Moneyfest bleibt hier, stattdessen kriege ich eine Knastkarte. Zum Glück ist das „Jail“ nicht weit. In wenigen Minuten bin ich dort und kriege ein Glas Oldesloer Korn gemischt mit Sauerkrautsaft serviert – Strafe muss sein.
Wieder Winklers Platz, wieder würfeln? Nee, im Moneyfest steht schon von den Veranstaltern vorgeschrieben die Nummer 13. Zum Brahmskontor bei der Musikhalle müssen alle. Jeder Teilnehmer wird dort fotografiert. Verblüffend, wie gut Pankt Saulopoly organisiert ist. Zwölf Stationen, plus Start, plus Gefängnis und alle sind mit zwei bis vier Personen besetzt macht einen Personalaufwand mit Dutzenden von Helfern, Respekt! Nächster Checkpoint: Astrastube unter der Sternbrücke, meine bislang längste Strecke.
Ich soll singen: Bicycle von Queen.
Die Astrastube unter der Sternbrücke
wird zur Karaoke-Bar
Fast am Anschlag kurbele ich über den Neuen Kamp. Brrrr, der Wind ist eiskalt. Noch ist die Ampel am Pferdemarkt nicht rot. 100 Meter noch, ich gebe alles, erwische alle Ampeln bei grün – na ja, fast zumindest. Bei der Astrastube habe ich erneut Takken-Glück. Besser gesagt Unglück. Denn ich soll singen: Bicycle von Queen. In Karaoke-Manier gilt es, Punkte zu erträllern. Wer den Text am besten beherrscht, kriegt die meisten Takken. Bin gespannt, ob und wo die Fotos vom Brahmskontor und der Soundcheck an der Astrastube veröffentlicht werden. „Würfeln bitte“, sagt die Checkpoint-Chefin. Die sieben fällt, schon wieder Pauli-Stadion. Vorwärts, jenseits des legalen Tempolimits rausche ich über die Stresemannstraße. Der berüchtigte Blitz in der 30 km/h-Zone bleibt trotzdem kalt. Löst der bei Fahrrädern nicht aus? Oder war ich zu langsam?
Würfeln am Stadion: Astrastube. Schon wieder. Gibt’s das? Hin und her, her und hin. Wenn das so weiter geht, sehe ich heute keine anderen Stationen mehr. Gut, dass ich nicht ein zweites Mal singen muss.
Schon der dritte Korn mit
Sauerkrautgeschmack.
Was mache ich hier eigentlich?
Und was sagen die Würfel? Na, was schon? Stadion natürlich! Ich fühle mich wie ein Pendler und hechle wieder mit viel Druck unter dem Strese-Blitz hindurch, zum Neuer Pferdemarkt und in die Budapester. Dann – klar – mal wieder ins Gefängnis. Also wieder rein in die Wohlwillstraße. Ich verfranze mich. So ein Mist. Wo war noch der Aldi? An der Simon-von-Utrecht-Straße steht die Fahrradstaffel der Hamburger Polizei in voller Stärke und fischt einige Teilnehmer raus. Was für ein Kontrast: „Brakless“ und Rohloff-Speedhub in Polizeiausführung treffen aufeinander – herrlich. Weniger herrlich ist, dass ich immer noch keine Ahnung habe, wo es zum Aldi Paul-Rossen-Straße geht – und das obwohl ich doch schon zwei Mal dort war. Mein Rad ist natürlich weitgehend verkehrsgerecht (okay, keine Reflektoren und die Lampen blinken. Derartige Kleinigkeiten stören die uniformierte Rennleitung nicht). Also frage ich einen Beamten von der Fahrradstaffel: „Wissen Sie, wo der Aldi Paul-Roosen-Straße ist.“ „Zweite links, dann 300 Meter geradeaus“, kommt die zackige, aber freundliche Auskunft. Ich düse weiter und muss plötzlich tierisch lachen. Wann fragt man die Polizei schon mal nach dem Gefängnis? Dort gibt es zur Abwechslung dieses Mal Oldesloer ohne Krautgeschmack. Macht die Strafe aber nicht viel besser.
Ah, nächste Station ist die Kneipe „Frau Hedis Landgang“ – endlich mal was Neues. Erinnerungen werden wach. Nebenan im Nil habe ich vor acht Jahren geheiratet – verrückt. Heute sitze ich auf einem Minimal-Bike, fahre viel zu schnell und viel zu illegal durch St. Pauli. Was mache ich hier eigentlich?
Im Landgang steht die Luft. Lauter Elektro-Sound dröhnt aus den Boxen während ich würfele. Und so geht das weiter und weiter und weiter: Winklers Platz, Landgang, mal wieder Gefängnis (schon der dritte Korn!!!)... . Irgendwo legt einer bereits sein zweites Moneyfest vor. Auf meinem ist noch Platz. Ich bin zu langsam. Oder zu oft im Gefängnis. Wahrscheinlich beides. Inklusive der zwei verlorenen Zettel habe ich ja auch schon das dritte – hähä. Ambitionierte Teilnehmer haben ihre eigene Technik. Sie rasen mit dem Moneyfest im Mund zu den Checkpoints. Schließlich trägt ja auch eine Katze ihre Beute im Maul spazieren. Nie steigen die Profis vom Rad, sondern würfeln, lösen Aufgaben blitzschnell und sind so zügig wieder weg, wie sie gekommen sind. Weniger Ehrgeizige lungern auch schon mal in Pulks herum, klönen und trinken ein Bier. Ein Blick auf die Uhr: 21.45. Noch eine Viertelstunde. Dann habe ich diese Alleycat erledigt, zur Strecke gebracht, vom Hof gejagt.
Die Uhr tickt. Noch fünf Minuten.
Teufel nochmal, St. Paulis Gassen können
verdammt verwirrend sein
„Dinner for one“ schießt mir in den Kopf . Ja, das passt: „I kill that cat!“ Die elf fällt. Das ist der Wohlerspark. Wo ist der noch mal? Ein Blick auf die Karte: richtig, am Ende der Thadenstraße. Ich bin aber in der Otzenstraße. Links oder rechts? Die Uhr tickt. Noch fünf Minuten. Teufel nochmal, St. Paulis Gassen können verdammt verwirrend sein. Selbst wenn man hier Zuhause ist. Aber es reicht. Klack, der letzte Stempel. Mein Moneyfest ist voll.
„Fuck Alder, willst Du noch Takken verdienen“, fragt einer. Okay, was ist die Aufgabe? Erst zeigt er auf ein BMX-Rad, dann auf den dreieckigen 150-Meter-Parcours um ein eingezäuntes Rasenstück: „Mit dem Teil drei Runden unter einer Minute um den Kurs rennen.“ Danke, ich verzichte. „Ist auch besser so, mit deinen Schuhen“, meint er. Oh Mann, was ist denn nun, bitteschön, wieder mit meinen Schuhen?
War das jetzt geil oder kriminell?
Ich entscheide mich für geil.
Saugeil sogar!
Die Katze ist tot. Langsam rolle ich zum Feldstraßen-Bunker. Mir wird kalt. Meine Gedanken sind noch auf der Strecke: Bismarck, Pauli-Stadion, Bismarck, Gefängnis, Korn, Astrastube, Queen nachsingen... – was war das jetzt? Geil oder kriminell? Ich entscheide mich für geil. Saugeil sogar! Im Bunker steigt ab 23.30 Uhr die After-Alleycat-Party. Es gibt Kartoffelsuppe mit Wurststücken aus Plastikschalen. Dazu eine Astra-Knolle. Zwei DJs legen Elektro-Hiphop auf. Einige singen mit und sind textsicher. Jeder quatscht mit jedem. Oder probiert es zumindest. Ich suche nach bekannten Gesichtern; hier ein Schulterklopfen, dort ein Prösterchen. Es ist laut. Sehr laut. Zu laut. „Wann ist die nächste Alleycat“, schreie ich einen Typen an, der so aussieht, als wüsste er so was. Seine Antwort: Samstag, 13. April in Rostock. Okay, bis dann.
Manifestiert: mein Moneyfest
Zuletzt geändert von Harterbrocken am 04.04.2013, 07:32, insgesamt 2-mal geändert.
Mein Blog: http://st-pedali.blogspot.de/
- Harterbrocken
- A-Lizenz-Schreiber
- Beiträge: 1520
- Registriert: 28.05.2011, 09:43
- Wohnort: Williamsburg
Gerade schickt mir Carlos Fernandez Laser - www.carlosfernandez.de - mein Teilnehmer-Foto:
Wie oben geschrieben: Der Pulli ist nicht Alleycat tauglich
Wie oben geschrieben: Der Pulli ist nicht Alleycat tauglich
Mein Blog: http://st-pedali.blogspot.de/
- Janibal
- A-Lizenz-Schreiber
- Beiträge: 975
- Registriert: 01.12.2008, 14:07
- Wohnort: Bad Sooden Allendorf
Re: Alleycat Pankt Saulopoly: Pauli bei Nacht (Bericht + Bil
Cooles Ding, gibt es einen Tourplan? Bekommen Heimspieler ein Handicap?Harterbrocken hat geschrieben:Außerdem hat mein Renner ein Freilaufritzel (zumindest auf der Seite wo heute die Kette läuft) und gleich zwei Bremsen: geht ja wohl mal gleich wieder alles überhaupt nicht! Denn: „Brakeless“ heißt die ultimative Ausbaustufe eines perfekten Kurier-Fixies, also ein Starrgang-Rad ohne Bremsen – höchst illegal, aber sauschnell, verschleißarm und cool. Alles klar?
Uncool ist Pflichtfixi.
St. Jan
- Harterbrocken
- A-Lizenz-Schreiber
- Beiträge: 1520
- Registriert: 28.05.2011, 09:43
- Wohnort: Williamsburg
Re: Alleycat Pankt Saulopoly: Pauli bei Nacht (Bericht + Bil
Na ja, Fixie ist nicht Pflicht, aber Standard der Puristen. Waren auch ein paar Hollandräder, Trekkingbikes und reguläre Rennmaschinen dabei - alles erlaubt, geduldet und zum Glück nicht kommentiert. Die Szene ist lässig und nicht voreingenommen.Janibal hat geschrieben:Uncool ist Pflichtfixi.
Tourplan für weitere Alleycats gibt es nicht; läuft eher konspirativ über Mundpropaganda und Facebook (und HFS ) Nächste Norddeutsche ist in Rostock. Weitere große Veranstaltungen gibt es in Basel, Paris, New York, Zürich und wahrscheinlich in anderen deutschen Großstädten.
Kein Handicap für Einheimische. Wer nicht ortskundig ist, sollte unbedingt ein Team mit Einheimischen bilden. Nimmt mich in Rostock jemand in den Windschatten?
Mein Blog: http://st-pedali.blogspot.de/
- Halbrenner
- A-Lizenz-Schreiber
- Beiträge: 141
- Registriert: 31.03.2013, 16:03
- Wohnort: Altona-Altstadt
- Kontaktdaten:
Brooklyn, kenn ich aus meiner Kindheit als Kaugummi in Italien. Die gabs in den absurdesten Geschacksrichtungen und wurden als erstes mit den Urlaubsliren gekauft. Ich glaube die Firma hat dann ein Radteam gesponsort. Ich meine noch vor kurzem Brooklyn Kaugummi bei Andronaco gesehen zu haben.
http://www.sugafari.com/brooklyn.html
http://www.sugafari.com/brooklyn.html
Wir sehen uns da oben, Tschüss Helmut
Gründungsmitglied Verein HFS - Helmuts-Fahrrad-Seiten
Gründungsmitglied Verein HFS - Helmuts-Fahrrad-Seiten
- Halbrenner
- A-Lizenz-Schreiber
- Beiträge: 141
- Registriert: 31.03.2013, 16:03
- Wohnort: Altona-Altstadt
- Kontaktdaten:
Ach so, ich dachte das bezieht sich schlicht auf den Stadtteil von New York.Helmut hat geschrieben:Baumwoll-Kappen überhaupt, diese besonders, scheint's mir.Halbrenner hat geschrieben:Brooklyn Caps scheinen ja voll im Trend zu liegen ...
Kann mich mal bitte jemand aufklären, was das für'ne Radmarke ist, Brooklyn?
Hier kannst du die bestellen:
http://shop.goldsprint.de/product_info. ... g-cap.html
und hier:
http://stores.ebay.com/BikeWearhouse/Cy ... ml?_fsub=6
http://shop.goldsprint.de/product_info. ... g-cap.html
und hier:
http://stores.ebay.com/BikeWearhouse/Cy ... ml?_fsub=6
Mad4Campy
- kocmonaut
- A-Lizenz-Schreiber
- Beiträge: 864
- Registriert: 06.11.2012, 21:50
- Wohnort: Schleswig-Holstein
Hallo Harterbrocken,
schön geschrieben und somit schön zu lesen. Der Spaß, den Du hattest, kommt sehr gut rüber. Mein Ding ist es aber nicht. Dafür ist mein Bausparvertrag bald zuteilungsreif. So muss ich nicht schweißen oder Bambus pflücken, wenn ich ein neues Rad brauche.
smile
kocmonaut
outet sich als Spießer
schön geschrieben und somit schön zu lesen. Der Spaß, den Du hattest, kommt sehr gut rüber. Mein Ding ist es aber nicht. Dafür ist mein Bausparvertrag bald zuteilungsreif. So muss ich nicht schweißen oder Bambus pflücken, wenn ich ein neues Rad brauche.
smile
kocmonaut
outet sich als Spießer
- Tribelix
- A-Lizenz-Schreiber
- Beiträge: 1221
- Registriert: 26.05.2008, 19:18
- Wohnort: Reinbek
- Kontaktdaten:
Am PoPo Harterbroken
<IMG src="https://fbcdn-sphotos-h-a.akamaihd.net/ ... 1123_n.jpg" width="850">
copy by We are traffic
Pankt Saulopoly
<IMG src="https://fbcdn-sphotos-h-a.akamaihd.net/ ... 1123_n.jpg" width="850">
copy by We are traffic
Pankt Saulopoly
HFS Jedermann Reporter 2010 "Triathlon"
HFS Jedermann Reporter 2011 "Multi-Sport"
Grinsekasper = Cyclocross Fahrer
IRONMAN
HFS Jedermann Reporter 2011 "Multi-Sport"
Grinsekasper = Cyclocross Fahrer
IRONMAN
Re: Alleycat Pankt Saulopoly: Pauli bei Nacht (Bericht + Bil
Harterbrocken hat geschrieben:„Fuck Alder, willst Du noch Takken verdienen“
Und wie wars in Rostock?
- Harterbrocken
- A-Lizenz-Schreiber
- Beiträge: 1520
- Registriert: 28.05.2011, 09:43
- Wohnort: Williamsburg
Aufklären? Na, Helmut, das sollte doch schon viel früher passiert sein...Helmut hat geschrieben: Kann mich mal bitte jemand aufklären, was das für'ne Radmarke ist, Brooklyn?
Im Prinzip ist es so, wie von mad.mat bereits erklärt. Es handelt sich um Kaugummi, nicht um den Stadtteil von New York. Aber ich wette: Nicht jeder, der die Kappe trägt, wird das wissen. In Sachen Brooklyn hier ein paar spannende Infos, die ich auf der Homepage von Gios gefunden habe:
Der große Durchbruch des Unternehmens GIOS gelang nach einer Begegnung von Alfredo Gios mit Giorgio Perfetti, Inhaber der weltberühmten Kaugummi-Marke „Brooklyn“, auf der Radsport-Messe in Mailand im November 1971. Die Firma Gios war hier vertreten mit ihrem Rad-Modell „Easy Rider“, das bei Giorgio Perfetti einen so nachhaltigen Eindruck machte, dass er unmittelbar 100 Stück hiervon für ein Gewinnspiel seines Unternehmens orderte. Im folgenden Jahr gelang es den beiden Männern ihre gute und erfolgreiche geschäftliche und persönliche Beziehung mit einem gemeinsamen Rennrad-Team zu krönen. Gios fungierte dabei als technischer Kompetenzträger und Lieferant der Räder, während Brooklyn als Sponsor des Teams auftrat. Am 4. August 1972 wurde der offizielle Sponsoring-Vertrag zwischen Alfredo Gios und Giorgio Perfetti unterzeichnet: der Beginn einer fünfjährigen Erfolgsgeschichte eines der besten Profi-Radsport-Teams, die es je gab. Das Team „Brooklyn“ war geboren, und glänzte von nun an mit einer nicht enden wollenden Liste von Champions. Ein Name steht dabei ganz oben: Roger De Vlaeminck, Gewinner der Rennen von Mailand - San Remo, Paris - Roubaix, der Flandern-Rundfahrt, der Lombardei-Rundfahrt, Lüttich-Bastogne-Lüttich, La Fleche Wallone, Paris - Brüssel, Mailand - Turin, Züri Metzgete, Het Volk, Tirreno - Adriatico, Tour de Suisse etc.
Die vielen Siege und die fruchtbare Zusammenarbeit mit Brooklyn läuteten in dieser Zeit die Geburtsstunde einer in der ganzen Welt bekannten und aus dem professionellen Radsport nicht mehr wegzudenkenden Farbe ein: GIOS Blau – entstanden aus der unternehmerischen Entscheidung des Firmeninhabers Alfredo Gios, entwickelt passend zum Stars & Stripes-Design der Trikots des Team „Brooklyns" – ist bis heute einzigartig, lebendig und elektrisierend.
Und hier zwei Fotos dazu:
Dem letzten Satz kann ich voll und ganz zustimmen. Mich elektrisieren die Gios-Räder und hier tiefes Blau.
Mein Blog: http://st-pedali.blogspot.de/
So, nun hab ich es endlich geschafft, die Spoke, Ausgabe Juni/Juli 2013, zu erwerben, gab's nirgends in Wandsbek, aber in der Wandelhalle des Hbf. im bestens sortierten Zeitungsladen am Westausgang. Auch die Fahrstil und vieles mehr gibt's da zu beziehen.Harterbrocken hat geschrieben:Heute möchte ich Dir die Lektüre der neuen "Spoke - Magazin für urbane Fahrradkultur" ans Herz legen. Erstens fühlt man sich damit gleich 30 Jahre jünger, wenn man mit dem Blatt unterm Arm beschwingt aus dem Kiosk schlendert. Zweitens gibt es einen Bericht ab Seite 26, der HFS-Lesern schon länger exklusiv zur Verfügung stand. Drittens hat die Ausgabe mehrere Themen, die sehr interessant klingen und dazu hätte ich gerne Deine Meinung. Vielleicht magst Du ja die 4,40 Euro investieren, um mir zu sagen, dass es das Geld wert oder eine Fehlinvestition ist.
Die 4,40 ist die Spoke wert, wird nicht das letzte von mir gekaufte Heft sein. Der Artikel von Harterbrocken wirkt dort mit schönen, von dem Profi-Fotografen im Studio aufgenommenen Bildern noch besser. Gut gefallen hat mir auch eine Anzeige für die "Bundes-Velo-Spiele" (allein schon wegen des Namens) in Dortmund (Critical Mass, Bike-Polo und mehr) sowie das vorgestellte Schindelhauer Ludwig XVIII, ein "Single-Speeder der Neuzeit", mit 18 sequentiell zu schaltenden Gängen für 5.000 Tacken.
Wer das sehen will, sollte sich beeilen, bevor die August/September-Ausgabe erscheint.
Wenn's um die Wurst geht, sollte man gut abschneiden.
Wer ist online?
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast