Hanseat hat geschrieben:Nach Festina, Fuentes und Landis fand auch kein Umdenken statt! Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich was ändert, so lange die großen Helden wie Coppi, Mercx und Hinault noch die Leitbilder des Radsports sind. Die Tour und Co. waren schon immer schmutzig. Man müsste vielleicht all die Offiziellen bei den Veranstaltungen und die Teamchefs auswechseln. Sie sind allesamt zu sehr behaftet mit der dunklen Historie des Radsports und führen und praktizieren aus Gewohnheit. Es war ja eigentlich nie anders...
Du triffst den Nagel auf den Kopf: kein Umdenken nach Festina, Fuentes, Landis. Warum also nach Armstrong? Riis? Noch immer Teamchef. Zabel? Schirmherr bei dies und das, sportlicher Leiter bei Jedermannrennen. Aldag? Voll drin im Profizirkus. Udo Bölts? Hält vielbesuchte Vorträge und Buchlesungen. Contador? Ißt das falsche Fleisch. Merckx? Eine unantastbare Ikone. Also: Umdenken ist das nicht gerade. Den alten Recken sollte man verzeihen und ihnen nicht die Sünden von gestern auftischen. Trotzdem scheint der gesamte Apparat noch ziemlich vergiftet zu sein, um im Bild zu bleiben. Was wir sehen, ist nur die Spitze. Noch mehr schmutzige Geheimnisse sind in der zweiten und dritten Reihe zu erwarten.
Angelboot hat geschrieben:Diese einseitige Berichterstattung, auch von vermeintlich seriösen Medien, ist der eigentliche Skandal.
Nein, hier sollte jeder, dem Artikel 5 unseres Grundgesetzes heilig ist, laut aufschreien. Die Pressefreiheit so in Frage zu stellen, empört mich. Die freie Meinungsäußerung ist ein extrem hohes Gut und darf nicht durch so unbedachte Äußerungen in Frage gestellt werden. Schließlich ermöglicht dieses Recht auch Dir, hier im Forum Deine Ansichten zu vertreten. Selbst dann, wenn es eine eiserne Einzelmeinung zu sein scheint. Die Menschen in China haben diese Möglichkeit beispielsweise nicht.
Du irrst mit dieser undemokratischen Auffassung gewaltig. Der Skandal ist und bleiben die kriminellen Machenschaften des Profi-Pelotons, der Teams, der UCI, der Ärzte usw., nicht die Berichterstattung darüber. ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt zum Beispiel sollte einen Preis für seine unermüdlichen Recherchen und Kommentare bekommen. Der Mann versteht wirklich was von der Thematik und den Hintergründen. Er berichtet alles andere als einseitig, wägt ab und ordnet ein. Gilt auch für viele andere Berichterstatter. Was sie tun, nennt sich journalistische Sorgfaltspflicht. Das verdient Respekt und keine abfälligen Bemerkungen.
Tagesschau und Handelblatt sowie andere Qualitätsmedien als "vermeintlich seriös" zu bezeichnen, kann ich nur unter der Rubrik Realitätsverlust einordnen. Beispiel Wulff-Rücktritt: Zum Glück hat unsere Presse nach Legeslative, Judikative und Exekutive eine Wächterfunktion. Ohne diese wären Hauskredite und Vorteilsnahme des Ex-Präsidenten nicht ans Licht gekommen. Ich bin froh, dass genau hingeschaut wird. Und das, bitteschön, auch im Radsport.
Angelboot hat geschrieben:Fair wäre es, den gesamten Hochleistungssport in seinen Auswüchsen zu hinterfragen. Auch die Dopingfälle in diesen Sportarten publik zu machen, genauso.
Stimmt genau und wird auch gemacht. Vielleicht noch nicht genug. Aber die jahrelange Berichterstattung über zum Beispiel Eisschnellläuferin Claudia Pechstein ist dafür ein guter Beweis. Wer hier Zeilen zählen würde, wäre überrascht. Dieser Fall war oftmals deutlich präsenter, als das Radsportdoping. Wer sich nur für eine Sportart interessiert, entwickelt gerne eine selektive Wahrnehmung. Also: Einfach mehrere Zeitungen lesen. Und nicht nur den Sportteil. Doping schafft es gerne auch mal ins Feuilleton oder die Politik. Immer informativ ist z. B die Rubrik Daily Dope in der TAZ. Oder ist dieses Blatt auch nicht "seriös"?
Du solltest Dich mal fragen, welches Interesse Redakteure, Rechercheure und Reporter quer durch die Medienlandschaft an der von Dir unterstellten einseitigen Berichterstattung haben sollten. Alle gegen die armen Radsportler oder was? Nee, so einfach ist das nicht. Es geht ums Geschäft, das große Geld, Betrug, Bestechung in einer Sportart, die mit Steuergeld und GEZ-Gebühren gefördert wurde und wird. Ist doch klar, das hier das Umrechtsbeusstsein aktiviert wird. Wer soll da noch an einen ehrlichen Rundfahrtsieg glauben?
Angelboot hat geschrieben:Und sind wir es nicht auch? Die immer noch mehr "Leiden" sehen wollten.
Nein, ich jedenfalls möchte keine Leiden sehen. Keine gedopten Helden, die am Mount Ventoux mit verklumpten Blut tot vom Rad zu fallen drohen. Ich möchte fairen Sport sehen, gerne packende Mann-gegen-Mann-Duelle am Berg, spannende Sprintankünfte und faszinierende Einzelzeitfahren. Nein, Leiden hat für mich nur sehr bedingt mit echtem Wettkampf zu tun. Damit Radsport spannend ist, braucht es keinen 45er-Schnitt des Pelotons auf einer Flachetappe und neue Rekorde in Alpe D'Huez.
All das ist aber momentan noch systemimmanent im Profiradsport tief verankert, eben so tief wie in keiner anderen Sportart. Darum die hohe Aufmerksamkeit der Medien. Erst wenn die Wurzeln des Übels entfernt sind, besteht die Chance für einen Neuanfang. Den sehe ich momentan nicht. Im Gegenteil: Der Profiradsport wird diese Saison wohl einen neuen Tiefpunkt erleben. Ich wünschte, dass ich mich täusche. Doch die Zeichen stehen auf neue Skandale ohne Ende. Das zeigt ja auch die Einrichtung immer neuer Doping-Freds in diesem Forum.
Und Übrigens: Die aktuelle Ausgabe des Magazins Procycling, das nicht unbedingt im Verdacht steht eine Anti-Radsport-Publikation zu sein, hat einen fast monothematischen Titel: Change Cycling now, der Fall Armstrong, Doping bei Rabobank, Fuentes... usw., usw. Ziemlich einseitig oder?
Selbst die größten Insidermedien und Schönredner haben die Tragweite des Betruges und medizinischen Gefahren offenbar erkannt. Es geht ums Überleben. Noch atmet der Patient, noch ist der Profiradsport nicht tot. Aber die Reha dürfte lange dauern. Und die schafft man nur durch größtmögliche Transparenz, Offenheit und Fairness. Totschweigen des Skandals und zu versuchen ihn mit Erfolgen junger Hoffnungsträger zu übertönen, wird das schlimme Leiden des extrem kranken Patienten Profiradsport nur in die Länge ziehen.