Schon der Anmarsch zur Hauptstadt endet blitzartig. Die Kämpfer aus Mittelhessen sind hoch motiviert. Liegt doch eine sonnige und eisheilige Woche voller Entbehrungen in diversen Lagern hinter uns. Tim versucht sich auf seinen Abschluss an der Uni zu konzentrieren, Dani arbeitet frei am Telefon. Ich verordne mir ein kleines Trainingslager rund um den Eisenberg bei Kircheim.
Tim und Dani haben in Frankfurt am Mein (Geld) erste Rennluft gerochen und wollen jetzt bei dem Velothon in Berlin ihre Leistungen bestätigen. Mir obliegt wieder die Ehre, etwas zu guiden. Doch das alles wird durch einen Unfall im Konvoi vor uns unterbrochen. Der Gegenverkehr hat die bauliche Trennung in der Baustelle durchbrochen und unseren Zug zum erliegen gebracht.
In Berlin wird sich am Abend um den DFB-Pokal geschlagen, einen großen goldenen Becher, der nach einjähriger Benutzung wieder zurückgegeben werden muss. Hier trifft Schwarz/Gelb auf Rot/Blau, wobei Blau sind beide Fangemeinden. Der Halt auf dem Weg in den Nordosten wird zum Leeren eines Döschens Bier genutzt. Tiefgründige Lieder wie: „Geh mal Bier holn, du wirst schon wieder ...“ dröhnen über den Beton, wo sonst überladene LKWs Maut zahlen. Nebenbei steht ein Fahrzeug vom Continentalteam Bike-Aid. Ein Fahrer nutzt die Zeit zum Trainieren für den Velothon. Die Polizei hat kein Verständnis und unterbindet es, dafür bekommen wir einen Einblick in das Leben zwischen Training und Radsporteinkommen.
Kurz vor Jena wird die Autobahn neu geleitet. Es gibt wie immer riesen Proteste, den beiden Grillbuden droht der Tod. Die zu erhalten wäre schon wichtig, handelt es hier doch um Handarbeit, gepaart mit moderaten Preisen. Es könnte ein Ende der Thüringer Bratwurst einfach so verschwinden. Heutige Planfeststellungsverfahren berücksichtigen einfach nicht überlebenswichtige Gegebenheiten.
Archiv Bild Ostern 2014
Irgendwann erreicht die arme Armee armwinkend Berlin. ESK Onkel hatte schon bei der amerikanischen Botschaft angerufen, ob die wüssten, wo wir sind. Leider waren alle Kanäle mit anderen Telefonaten belegt.
Da the time was runnig by und ich zum Briefing für die Guides muss, enteilte ich Onkels Stadtrundfahrt und leider auch dem Klappstuhlrennen. Gerne hätte ich Rosa Lee und MM mit Black Pearl sowie Hardcorebrocken und Maggi auf ihren Runden ums Tor angefeuert. So laufe ich mit dem ESK-Leibchen vorbei an dem deutschen Stuhlkreistag, Muttis Haus, Schloss Deja vu, hin zur Siegessäule und weiter nach Westen, denn dort sollte irgendwo das Haus von Rundfunk Berlin-Brandenburg liegen, doch es ist nicht mehr da. In der Polizeiwache kann mir Auskunft gegeben werden: Die Straße runter. Am Ende bin ich 30 Min. zu spät und 10 km weit gelaufen. Auf der Karte waren es nur 5 cm. So kann ich noch von den Neuerungen der Strecke und im Zielbereich erfahren. Und dass die Wettervorhersage stimmen soll. Deshalb auch schon die Wolken am Himmel über Berlin.
Noch mit bekannten Gesichtern ein paar Worte gewechselt und den ESK, der bei vielen bekannt ist aus Presse, Funk und Realität, ins rechte Licht gerückt. Der ESK beteiligt sich auch an Friedensmissionen, wie z. B. Guiden von Stadtrundfahrten. Zurück bin ich mit der U-Bahn bis zum Potsdammer Platz, wo erste Tropfen den Straßenstaub bändigen. Letzte Klappstühle verlassen den Rennzirkus und weichen den Jungesellen- und Gesellinnenabenden. Zurück beim Onkel mit Blick auf die Charité gibt es noch Speiß und Trank. Fußball ist der richtige Betthupferl und so träumen wir alsbald von einer warmen, lichten und schmerzfreien Stadtrundfahrt, während der Regen endlos in die Hinterhöfe fällt. 2beer, der gerade aus dem nassen Südosten eintrifft, schreibt, dass es ihm reicht, mit dem Regen.
Das Handy klingelt, die positive Dani meldet, es regnet nicht. Leider hat sie das graue Wasser vor der grauen Wolkenwand im Halbdunkel nicht gesehen. Bei mir gibt es keine Alternative, ich muss zum Start. Kurz Frühstück und die letzten trockenen Tritte in der Tiefgarage genossen. Schon nach dem Queren des Bürgersteiges sind die Füße nass, der Rest ist nicht so schnell durch. Block B 60 km und noch halbwegs warm stelle ich mich zu den zitternden nassen Gestalten, vorher noch vorne dem Guide gesagt, dass ich hinten fahre. Ich habe auch kurze Hose an, doch obenrum dreifach und lang. Neben mir stehen welche in Kurz/Kurz. Wegen dem Sponsor. Obwohl ich den Sponsor von Goschi nicht erkenne, erkenne ich ihn. In Rufweite Bettina, kurz glaube ich an den falschen Film, bin ich hier beim Stevens Cyclocross Cup? Kann nicht sein, da war das Wetter besser. Goschi will nicht starten, redet von: Die Luft ist raus, Rahmenbruch (meinte wohl Don Vito Campa) bei den Kollegen vom Hamfelder Hof. Es ist Start und ich lasse ihn zitternd im Regen stehen.
Es wird ganz vorsichtig gefahren, getestet, was die Reifen in der Kurve halten und wie das Wasser nur von oben kommt und nicht noch vom Vordermann/frau. Zwei Kurven weiter rufen mir Mad.Mat und Britta zu, ich halte kurz und umarme die Armen. Mad hat kein Geld für einen Rasierer und beide können sich auch keine großen Räder leisten, die kleinen Räder drohen jederzeit zusammen zu klappen. Ich fahre weiter, vorbei an nassen Streckenposten, durch tiefe Seen in Straßenmitte und immer weint der Himmel auf die Köpfe. Ich kann nur allen sagen, die Wasserschlacht gewinnen wir, auch ohne alle die im Bett, auf dem Sofa oder in der Kneipe sich ärgern. Wir werden siegen, irgendwann wird die Sonne wieder für uns scheinen und der Regen wird zurück in den Untergrund weichen.
Auf der Havelchaussee greifen uns noch seine Verbündeten an. Oberst Bergauf und Admiral Defekt. Hinter einer Kurve kann ich mit Ersatzmaterial wieder zwei Kämpfer auf den Weg schicken, eine Amazone hat ihre Kette zwischen Speichen und Ritzel gezogen. Ich bekomme sie nicht los, aber sie soll nicht in ihrem ersten Rennen Opfer werden und so wird die Kette gekürzt, wobei der eingeklemmte Kettenrest ihr Rad zum Pflichtfixi macht, was ich so auch nicht gleich geblickt habe. Ein Stück weiter steht sie wieder, Kette gerissen. Noch mal nieten und irgendwie löst sich dann auch noch der Kettenrest und sie kann auf dem kleinen Blatt die letzten 45 km in Angriff nehmen.
Immer wieder sitzen geschlagene Recken in Bushaltestellen oder entkräftete Frauen schieben gegen Oberst Bergauf. Heute zerstören wir uns nicht selbst, ganz vorsichtig gehen wir miteinander um, halten durch und werden zusammen einen großen Sieg erringen. Kaum einer von uns wird von den UN-Friedenstruppen mit den blauen Lichtern aus der Schlacht entfernt.
Die Versorgungseinheiten haben eine Station aufgebaut. Hier können wir uns stärken, soll doch noch Feldwebel Wind auf dem Flugfeld Tempelhof mit ins Geschehen eingreifen. Doch sind wir skeptisch, es wird uns auch Wasser angeboten. Das könnte eine Falle sein. So kleine Sticheleien hat das Wasser nicht nötig, es fährt größere Geschütze auf. War es bis jetzt nur Regen, kommt jetzt Platzregen mit einer Gischt dazu, die Sicht wird verkürzt und was zum Kragen reinläuft, kommt am Hosenbein wieder raus. Wer jetzt liegen bleibt, sollte einen Klappspaten dabei haben. Oder einen Reifenheber. Mit dem kann ich dienen und so ist bei einem mitten auf dem Flugfeld Tempelhof schnell wieder für Weiterfahrt gesorgt.
Das sieht auch eine junge Dame und bittet um Hilfe. Zum Glück habe ich noch einen Schlauch. Sie fährt schon Kilometer weit ohne Luft. Sie ist auch nur leicht bekleidet, zittert am ganzen Körper und ist nicht nur grau, sondern weiß. Das Blut fließt nur noch innen. Schnell, ganz schnell, ohne große Lehreinheiten, versorge ich sie wieder mit Druck auf dem Hinterrad. Mit dem nötigen Willen schafft sie auch wieder Druck aufs Pedal zu bringen und damit auch wieder Blut unter die Haut. Das sind die Frauen, die uns heute, morgen und in Generationen jede noch so harte Schlacht gewinnen lassen.
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Dass auf dem Tempelhof nicht nur Krieg ist, zeigen Archivbilder aus dem Sommer 2013.
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Aber es kann auch schlimmer kommen.
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Jetzt bin ich am Ende - vom 60er Feld, der Regen will aber auch nicht nachlassen, könnte doch einfach aufhören. Verteile noch etwas Schokolade und mache ein paar Bilder. Hier die Mauer gegen Hochwasser 10 km vor dem Sieg?
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Hier kommt der Platz des Alex… Vorhang auf,
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dann noch Muttis Haus und ganz rechts die Arche DB.
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Ab hier schleppe ich noch einen Einkurbligen ab. Bis wir das Licht der Siegessäule genießen.
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Mein Daddy ist schon lange durch, Sen5. Auch Tim und Dani sind schon duschen. Der Besenwagen passiert mich ungesehen und ich rolle ihm hinterher. Der Einkurblige hat es geschafft, im Laufschritt vor ihm da zu sein. Eine Medailie bekommt jeder, doch weiterhin hat der Regen die Macht und vertreibt uns.
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Erst als die Helden der längeren Strecke, fast unter der Führung vom ESK Onkel, eintreffen, gibt der Regen sich geschlagen und lässt nach. Auch unser Continentalteam muss im Regen los, und auch hier bleiben schon viele vorm Start liegen.
Haben wir gewonnen? Das Urteil der Götter:
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Zurück in Mittelhessen ist Sonnenuntergang. Die nächste Schlacht wird und kann kommen…