Radschnellweg Ruhr: Eröffnung Abschnitt 3a (Bericht + Bilder)

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VeloC
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Radschnellweg Ruhr: Eröffnung Abschnitt 3a (Bericht + Bilder)

Beitragvon VeloC » 29.10.2017, 18:23

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Fast zwei Jahre liegt die Eröffnung des Modellabschnitts zwischen der Stadtgrenze Essen/Mülheim und dem Mülheimer Hauptbahnhof inzwischen zurück. Eigentlich hatte es anschließend nahtlos weitergehen sollen mit dem Ausbau Richtung Westen, doch dann wurde es Juni 2016, bis endlich der erste Spatenstich für das Teilstück bis zur Ruhr erfolgen konnte. Nach weiteren Verzögerungen während der Bauphase dürfen wir uns am 24. Oktober 2017 endlich von dem schon viel zu vertrauten Zaun oberhalb der Rampe am Mülheimer Hauptbahnhof verabschieden.

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Eine knappe halbe Stunde bleibt noch bis zum öffentlichen Event, aber man darf schon passieren. Wir nutzen die Chance zu einer Vorabbesichtigung. In Höhe des Treppenaufgangs an der Löhstraße, die den Bahndamm von den Brückenbögen trennt, befindet sich eine stationäre Fahrradzählanlage, stilvoll in einen geschweißten Stahlkasten in Form einer Bramme integriert. Noch ist sie inaktiv.

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Aus der Gegenrichtung werden die Radfahrer vor der Brücke über die Löhstraße im selben Design an das Gesamtprojekt RS1 erinnert. In die dort aufgestellte "Bramme" ist der Streckenverlauf als Kontur eingebrannt.

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Jedes der Löcher steht für das Zentrum einer Stadt. Von links nach rechts sieht man Duisburg, Mülheim, Essen, Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund, Unna, Kamen, Bergkamen und Hamm. Zum Vergleich die Kartenansicht. In Duisburg und Gelsenkirchen liegen die Innenstädte weit nördlich des geplanten Radschnellwegs. Hier sind später gute Zubringer erforderlich.

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Ebenso seitab liegt die Stadt Oberhausen. Das soll jedoch nicht so bleiben: Über Partei- und Stadtgrenzen hinweg – im Ruhrgebiet sonst völlig undenkbar – engagieren sich Bürger und Politiker für die Schaffung einer Anbindung an den RS1, die ihrerseits schon fast Radschnellwegsniveau erreichen soll. Interessanterweise ging die Initiative dazu ausgerechnet von einigen derjenigen Leute aus, die seinerzeit im Oberhausener Stadtrat erfolgreich alles drangesetzt haben, einen großen Schub für eine umweltfreundlichere Mobilität in der staugeplagten Stadt zu verhindern. Womöglich ist der Mensch ja doch lernfähig…

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Auf den Brückenbögen befinden sich in kurzen Abständen sogenannte Stepping-Stones, die kleinen Amphibien und Insekten Aufenthaltsräume und Fortbewegungsmöglichkeit sichern sollen. Für die großen zweibeinigen Säugetiere stehen Sitzbänke bereit.

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Der vieldiskutierte "Stadtbalkon", über den sich die Mülheimer Entscheidungsträger im Vorfeld weit mehr Gedanken gemacht haben als über eine konfliktarme Gestaltung des Abschnitts für Radfahrer und Fußgänger, ist momentan nur als dunkle Fläche erkennbar, die anderthalb Meter weit über das Viadukt hinausragt. Immerhin hat er jetzt entgegen ersten Plänen doch ein Geländer spendiert bekommen, auch wenn der integrierte Maschendraht Schlimmes befürchten lässt.

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Ursprünglich sollte man von dort eine wirklich lohnenswerte Aussicht genießen können: den völlig neu gestalteten Rathausmarkt, für den die beteiligten Mülheimer Bürger jede Menge guter Ideen beigesteuert hatten. Nach Einsatz einer sechsstelligen Summe entstand stattdessen: ein Parkplatz.

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Der schrottreife Kiosk an der Ecke hätte im Zuge des Umbaus längst verschwinden und durch beispielsweise ein Café mit Dachterasse ersetzt werden sollen. Jetzt steht er immer noch da, und sein Abriss scheiterte zuletzt daran, dass auf Wunsch der Stadt auf der Fläche drei weitere Parkplätze markiert werden sollen, was aber eine Rückzahlung von Fördergeldern erzwingen würde. Ein Ende dieser Pattsitation ist nicht in Sicht.

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Klar, dass an dieser Stelle kaum ein Besucher darauf verzichtet, über die "herrliche Aussicht" abzulästern, für die doch wirklich kein Preis zu hoch sein dürfe. Weit angenehmer dagegen der Anblick des von der Firma Easy Software gesponserten Coffee-Bikes ein paar Meter weiter. Das Unternehmen hat seine Zentrale direkt am Mülheimer Hauptbahnhof und kann demnächst neue Mitarbeiter damit locken, gleich an zwei Hauptachsen des umweltfreundlichen Verkehrs optimal angebunden zu sein.

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Zeit, zum Hauptbahnhof zurückzukehren, sonst verpassen wir die offizielle Eröffnung. Die bereitstehenden Fahrräder werden in letzter Minute noch auf RS1-Optik umgerüstet.

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Dietmar aus Essen ist heute ebenfalls mit einem Leihfahrrad unterwegs, allerdings einem mit deutlich größerer Ladekapazität und ganz neu. Nachdem die Ernennung von Essen zur Grünen Hauptstadt Europas in Sachen Verkehrsumbau leider enttäuschend folgenlos blieb, haben der Essener ADFC und VeloCityRuhr für ihr Lastenrad-Projekt immerhin einen finanziellen Zuschuss aus dem GHE-Topf erhalten.

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Die eigentliche Eröffnung ist recht fix erledigt, denn die großen Reden sollen erst am anderen Ende gehalten werden. Staatssekretär Dr. Jan Heinisch vom NRW-Bauministerium, RVR-Chefin Karola Geiß-Netthöfel und Mülheims Oberbürgermeister Ulrich Scholten (v.l.n.r) tauchen unter dem roten Band durch, stellen sich dahinter auf und lächeln mit erhobenen Scheren in die zahlreichen Kameras. Als die Pressevertreter endlich zufrieden sind, dürfte ein kräftiger Muskelkater in Arm- und Wangenmuskulatur am Folgetag schon nicht mehr zu vermeiden sein.

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Anschließend durchwandern wir gemeinsam den neuen Abschnitt, der nach Aussage der Stadt 800 m lang sein soll. In Wirklichkeit sind es nur knappe 500, deshalb ist der Weg auch zu Fuß schnell zurückgelegt. Trotz des Nieselregens ist es brechend voll; das Interesse der zukünftigen Nutzer ist riesig.

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Die kreuzungsfreie Überquerung der Friedrich-Ebert-Straße ist ein echtes Highlight. An der Ampel unten dürfen Radfahrer und Fußgänger selbst nach Betätigung des Bettelschalters am Fußgängerüberweg nämlich warten, bis ihnen fast das Fleisch von den Knochen fault. Ohne diese manuelle Aktion bleibt sie einfach rot, denn die Induktionsschleife in der parallel dazu verlaufenden Heinrich-Mälzer-Straße reagiert nicht auf Fahrräder. Nur wenn zeitgleich ein Auto dort hält, geht es schneller.

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Am Ende der Strecke werden die Eröffnungsreden gehalten. Alle Redner loben den Zuwachs für den künftigen Radschnellweg Ruhr als großen Gewinn für den Radverkehr, die Beteiligten für ihre tolle Arbeit und die Geldgeber (Bundesumwelt- und NRW-Städtebauministerium sowie RVR) für ihre Großzügigkeit. Dass die Baukosten von bislang 4,5 Mio. die bewilligte Fördersumme um 800.000 Euro unterschreiten, ist tatsächlich erstaunlich und erfreulich. Was bei den Zuhörern eher Stirnrunzeln auslöst, ist der x-fach wiederholte Appell an alle Nutzer des Abschnitts zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Die offenbar (und wohl nicht zu Unrecht) befürchteten Konflikte hätte man locker vermeiden können durch eine klare Trennung der Bereiche für Radfahrer und Fußgänger. Aber es musste ja unbedingt eine Flaniermeile werden!

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Nach Abschluss der Veranstaltung schauen wir uns noch ein wenig um. Der ausgehängte Plan war schon seit längerer Zeit online verfügbar. Jetzt kann man ihn endlich mit der Realität abgleichen.

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Die Mülheimer PIA-Stiftung, die auch die Radstation am Hbf betreibt, ist mit ihrem rollenden Kiez-Café und einer Abordnung ihres neueröffneten stationären Cafés Leineweber vor Ort.

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An ihrem Stand gibt es passend dekorierte Küchlein in verschiedenen Geschmacksrichtungen, die ich gerade noch fotografieren kann, bevor sie vergriffen sind.

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innogy hat eine Ladestation für Pedelecs spendiert, die jetzt zum festen Mobiliar des Abschnitts gehört. Einige ältere Herren stellen fachkundig fest, dass man dort auch seinen Akkurasierer anschließen und die Pause damit gleich zum eigenen Aufhübschen nutzen kann. Sehr praktisch!

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Der gläserne Aufzug zum Ruhrufer ist neben dem Stadtbalkon das zweite Pestigeprojekt des Abschnitts, das optisch richtig was her macht, bei der Mehrzahl der Radfahrer aber wenig Begeisterung auslöst.

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Zusätzlich zu einer Rampenlösung wäre er eine schöne Ergänzung, doch eine Rampe wurde aus angeblichen Platzgründen von der Politik schon im Vorfeld der Machbarkeitsstudie blockiert. Dafür hätten Parkplätze entfallen müssen, was in Mülheim ein absolutes Tabu darstellt. Wenn sich nun also die Vandalen an ihm austoben (selbst für Optimisten in Mülheim nur eine Frage der Zeit), müssen Radfahrer, die ihre Fahrräder nicht mal eben über Treppen schleppen können, wieder umdrehen und zum Hauptbahnhof zurück fahren. Gleiches gilt für Eltern mit unhandlichen Kinderwagen und natürlich für Rollstuhlfahrer. Wer ein Fahrrad mit Sonderabmessungen fährt – schon ein BULLITT in der Grundausführung zählt dazu – dem nützt auch ein funktionierender Aufzug nichts. Nichtbehinderte Fußgänger und Radfahrer mit leichten Fahrzeugen haben wenigstens eine Nottreppe zur Verfügung. Einen Treppenaufgang wird es nach Abschluss der Brückensanierung auch dauerhaft dort geben.

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Mit ein bisschen Geschick können immerhin drei schlanke Radfahrer sich selbst und ihre Räder mit Standardabmessungen im Aufzug unterbringen. Mit einer Fahrtzeit von nur 10 Sekunden ist er ziemlich flott, und sehbehinderten Mitfahrern erzählt eine weibliche Computerstimme, was gerade passiert. Dass diese stark an Cate Blanchetts russische Agentin in Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull erinnert, dürfte bei verschlafenen Radpendlern in den frühen Morgenstunden für ein schockartiges Aufwachen sorgen.

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Eine wirklich nette Idee ist die Abgrenzung des fertigen Abschnitts durch eine große Spanplatte mit Gucklöchern.

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Von hier kann man den Fortschritt der Sanierungsarbeiten an der Ruhrbrücke beobachten. Für ihre 151 Jahre ist die alte Dame in Top-Form und wird nach ihrer Schönheitskur ein herausragendes Glanzstück der 101 km langen Strecke sein.

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Die Fertigstellung im Frühjahr 2018 erscheint sehr ambitioniert, aber auf ein paar weitere Monate kommt es nun auch nicht mehr an. Drüberfahren kann man ohnehin erst, wenn auch die angrenzenden Brückenbögen über das Gelände der MüGa, wo die Landesgartenschau 1992 stattfand, fertig saniert und ausgebaut sind.

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Der sich daran anschließende letzte Abschnitt 3c hinter Feuerwache und Hochschule ist bereits im Bau. Die Ankündigung von OB Scholten, dass die Eröffnung nächstes Jahr um diese Zeit stattfinden werde, dürfte realistisch sein. Idealerweise schafft es Straßen.NRW in dieser Zeit, parallel die noch fehlenden Kilometer bis zur Duisburger Stadtgrenze auszubauen. Und dann gibt es richtig was zu feiern!

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In den folgenden Tagen teste ich den neuen Abschnitt so oft wie möglich. Die versprochene Beleuchtung wird erst nach und nach in Betrieb genommen. Was gleich am nächsten Morgen schon funktioniert, sind die Laternen auf dem Bahndamm am Hauptbahnhof, sowie die Beleuchtung unterhalb der Sitzbänke. Da fühlen sich die Zauneidechsen doch bestimmt wie im Sonnenstudio!

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Einen Tag später erstrahlt auch die mit Spannung erwartete Illumination der Handläufe der Geländer. Aber den Topeffekt gibt es erst am Freitag: Jetzt leuchten die "Brammen" auch von innen. Meine kleine Digiknipse ist leider nicht gerade spezialisiert auf Nachtaufnahmen, aber für eine ungefähre Vorstellung sollte das reichen:

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Dass es mir im ganzen Wochenverlauf kein einziges Mal gelungen ist, morgens um 5:30 der erste Fahrer des Tages zu sein, spricht für sich. Mit dem Nachlassen des Regens kommen mir sogar jeden Tag mehr Leute zuvor. Der Aufzug funktioniert noch (3 Kreuze!) und solange das der Fall ist, ist es einfach nur herrlich, morgens das neue Stück zu nutzen. Nachmittags klappt es bislang unter der Woche auch ganz gut. Auf der großen freien Fläche des Bahndamms entsteht zwar gelegentlich ein zielloses Gewusel aus Radfahrern und Fußgängern, doch im Bereich der Einbauten sortiert es sich fast von allein: Fußgänger auf die Süd-, Radfahrer auf die Nordseite, ganz ohne Beschilderung. Ob das bei schönerem Wetter auch noch so reibungslos abläuft? Warten wir es ab und freuen uns auf jeden Fall schon mal auf die Freigabe der nächsten Abschnitte!


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RS1-"Fanseite" von VeloCityRuhr

Infoseite der Stadt Mülheim zum RS1 auf der Rheinischen Bahn

Pressemitteilung der Stadt Mülheim zur Eröffnung

Bericht WAZ Mülheim 24.10.2017

Fotoserie WAZ Mülheim 24.10.2017

Bericht WAZ Mülheim 26.10.2017

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