Engadin Radmarathon '11, Zernez CH (Bericht)

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kraton77
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Engadin Radmarathon '11, Zernez CH (Bericht)

Beitragvon kraton77 » 04.08.2011, 14:58

<b>Engadin Radmarathon 2011, Zernez / Schweiz
Lohnt auch die Anreise aus dem hohen Norden</b>


Nach meinen Rennen in Lyss und Weinfelden, sollte mit dem Engadin nun das für mich dritte der Swiss Cycling Top Tour folgen. Zeitgleich sollte der Marathon das Saisonhighlight markieren. Das Absolvieren dieses Rennens sollte also die Belohnung für all das Training bei Minustemperaturen, unzähligen Platten, tausenden Kilometern und Trainingscamps sein.

Der Engadin Radmarathon wird in Zernez gestartet. Man kann zwischen 97 km (1.325 hm) und 211 km (3.827 hm) wählen, wobei es für die lange Distanz einen Timecut nach 4:30 Stunden in Zernez gibt. Kommt man später an, darf man nicht mehr auf die lange Strecke. Die kurze Strecke führt über Ova Spin nach Livigno hinauf zum Forcola- und Berninapass zurück nach Zernez. Die lange Strecke geht auf eine zweite Runde, bei der es den Flüela- und Albulapass zu bewältigen gilt!

Zwei Wochen vor dem Event ging es bei mir auf der Arbeit drunter und drüber, so daß sich leider erst etwa eine halbe Woche vorher die Vorfreude und Anspannung einstellte: Bin ich fit genug um meinen ersten Marathon zu fahren? Schaffe ich den timecut? Usw. :)

Am Samstag vor dem Rennen ging es nun den weiten Weg von Frankfurt hinunter in die Schweiz. Meine Anfahrt führte mich im letzten Stück bereits über den Flüelapass, der dritte Pass des morgigen Rennens, so dass ich mir schon einmal ein erstes Bild davon machen. In Zernez angekommen, quartiere ich mich zunächst im Massenlager ein, ehe ich zur Startnummernausgabe gehe. Da der Ort recht übersichtlich ist, geht das bequem zu Fuß! Nachdem ich meinen Starterbeutel abgeholt hab, schlendere ich noch kurz über die "Expo" und am Start-/Zielbereich vorbei, ehe ich mich doch noch auf eine kurze Vorbelastungstour mache: Ich fahre die ersten Kilometer nach Ova Spin hinauf - so kenne ich zumindest die ersten 8 km der morgigen 211! :)

Zurück von meiner Tour gehe ich noch einmal zum Start-/Zeilbereich, weil dort ein Briefing stattfindet. Zwar kann man sich die meisten Gefahrenstellen, auf die hingewiesen wird, schon im Internet recherchieren, aber alles in allem finde ich das eine gute Sache, da man auf die aktuellsten Begebenheiten (Fahrbahnbelag, Baustellen - zum Glück nur eine - usw.) hingewiesen wird. Vor allem wird meine Frage nach der Tunnelpassage zwischen Ova Spin und Lago di Livigno geklärt: Vom ersten bis zum letzten Teilnehmer gibt es grünes Licht in unsere Fahrtrichtung! :D Danach geht es zurück zum Lager und recht früh lege ich mich schlafen.

Eine relativ gute Nacht liegt hinter mir, als am nächsten Morgen um 5 Uhr die ersten Wecker bimmeln. Wir sind zu viert im Zimmer und haben uns auf diese Zeit geeinigt. :) Nach dem Frühstück im feudalen Speisesaal des Hotels mache ich mich fertig und fahre mich locker warm, ehe ich mich in den vierten und letzten Startblock verdrücke. Um Punkt 7 Uhr fällt der Startschuss und bereits nach 1:15 Minuten fange auch ich an aus dem Startblock zu rollen, um meinen ersten Marathon in Angriff zu nehmen!

Der erste Anstieg hinauf nach Ova Spin verläuft gleichmäßig um die 8 % herum, reicht aber um das Feld gleich recht entspannt zu "sortieren" Ich komme gut in Tritt und finde schnell meinen Rhythmus. Schon bald habe ich viele aus Startblock drei um mich herum. Nach einer kurzen Abfahrt folgt das erste Highlight des Marathons: Die Fahrt durch den einspurigen Tunnel von Ova Spin zum Lago di Livigno. Da dieser ausgeleuchtet ist, braucht man selbst kein Licht. Ist schon ein ungewohntes, aber tolles Gefühl durch so einen langen Tunnel zu fahren! :D

Aus dem Tunnel heraus folgt man dem Lago. Zu diesem Zeitpunkt befinde ich mich in einer größeren Gruppe mit der ich zügig nach Livigno - wo ich eine erste Getränkelabstation links liegen lasse - und dem Fuß des Forcolapasses bringt. Auch hier habe ich gute Beine - auch ernährungstechnisch läuft alles gut - und ich komme gut den Pass hinauf. Nach eine kurzen Abfahrt steht schon gleich der nächste Pass auf dem Programm: Der Berninapass. Nach meinem Gefühl her ist dieser nicht ganz so gleichmäßig, läßt sich aber doch noch ganz gut bewältigen. Bei beiden Pässen überhole ich in der Regel auch mehr Mitfahrer, als dass ich selbst überholt werde! Das beflügelt natürlich auch! :)

Oben auf dem Pass angekommen, mache ich Halt an der gut sortierten Verpflegungsstelle. Ich bin zufrieden, zumal jetzt klar ist, dass auch der Timecut kein Problem darstellen wird. Auch treffe ich einen meiner Lagergenossen wieder: Ihn hat es leider bei einem Schlagloch in Livigno hingelegt, aber außer ein paar Kratzern an ihm und seinem Rad ist zum Glück nichts weiter passiert Gemeinsam treten wir die Abfahrt an, sammeln noch einen weiteren Fahrer ein, bis sich unten im Tal schließlich wieder ein größere Truppe formiert, mit der wir Richtung Zernez brettern, welches ich nach etwa 3:15 Stunden erreiche! An der dortigen Verpflegung mache ich meinen einzigen Ernährungsfehler: Brötchen mit Käse VOR einem Anstieg ist eine definitv schlechte Idee! Wird mir ganz schön lange schwer im Magen liegen!

Ich begebe mich auf die zweite Runde, die vom Profil her auch die schwerere ist. Die ersten Rampen des Flüelapass untermauern das auch gleich sehr eindrucksvoll! Ich empfand ihn als unangenehm zu fahren, was sicher auch an den bereits absolvierten 100 km liegen mag!? ;) Während ich mit einer Rampe beschäftigt bin, habe ich einen kleinen Schreckmoment: Auf meinem Garmin lasse ich mir das Höhenprofil anzeigen, um in etwa zu wissen, was auf mich zukommt, bis sich in meinem Display plötzlich eine richtige Wand vor mir auftürmt! NOCH steiler? Kann ich mich gar nicht nach der gestrigen Autofahrt mehr daran erinnern!? Panisches Gewische auf meinem Edge, um mir die Karte anzeigen zu lassen und Erleichterung: Der GPS-Track von der Veranstaltungsseite "kürzt" mehrere Serpentinen einfach ab! Der Puls nimmt - soweit es die Steigung gerade zuläßt - wieder etwas ab! Nach etwa dem ersten Drittel wird es etwas flacher und man kommt wieder halbwegs zu Atem, ehe dann das letzte Drittel wieder alles von einem fordert. Zudem zieht sich nun auch noch der Himmel zu - bisher hatten wir traumhaftes Wetter gehabt, aber die Wolken deuten auf nichts Gutes! Dabei sollte doch laut Wetterbericht, der Regen erst am Abend einsetzen!

Oben auf dem Flüela angekommen, pausiere ich kurz an der Verpflegungsstelle, ehe ich mich in die Abfahrt stürze. Die Freude daran wird schon nach wenigen Kilometern durch einen Hagelschauer getrübt! Innerhalb weniger Sekunden bin ich komplett durchnäßt, die kleinen Hagelkörner sind wie Stiche auf der Haut und die Straße steht halb unter Wasser - und nach einer Weile sind die Finger durchgefroren und das Bremsen fällt schwer! Erneute Schreckensszenarien im Kopf: Ich habe noch 100 km vor mir und sollte das so weiterregnen, wird das echt spassbefreit! In Davos angekommen regnet es "nur" noch - wenigstens etwas. Eine Gruppe findet sich nicht so recht und so arbeite ich mich alleine weiter Richtung Alvaneu. Auf der weiteren Fahrt klart es immer weiter auf und den - relativ - kurzen Anstieg nach Wiesen hinauf bestreite ich bereits wieder bei strahlendem Sonnenschein!

In Alvaneu halte ich wieder kurz an der Verpflegung, bevor ich mich dem letzten Hindernis, dem Albulapass, stelle. Diesen kenne ich von dieser Seite, da ich ihn im Vorjahr beim Bergbitchteam-Rennen gefahren bin. Ob das ein Vorteil oder Nachteil ist? Von Vorteil ist auf alle Fälle, dass man keine "bösen" Überraschungen erlebt - Nachteil ist, je nach Gemütslage, dass man immer genau weiß, was noch vor einem liegt! Während dieser Auffahrt habe ich auch mein einziges mentales Tief, wo ich einfach keine Lust mehr habe bergauf zu fahren! Die Beine verrichten noch ganz gut ihren Dienst, das ist weniger das Problem. Zunächst geht es mit gemächlicher Steigung los, ehe es vor Bergün richtig anzieht. Dort kann man noch einmal kurz Verschnaufen, ehe das Teilstück zwischen Bergün und Preda einem noch einmal alles abverlangt. In diesem Teil befindet sich auch die einzige Baustelle des heutigen Tages (willkommene Verschnaufpause ;)). Aber auch dieser Pass hat irgendwann sein Ende und dann stehe ich auf dem zugigen Albulapass an der Verpflegungsstelle, mit der Gewissheit es geschafft zu haben! Jetzt nur noch bergab!

Nach der Abfahrt vom Albula stelle ich im Tal auf einmal fest, dass es durchaus im Bereich des Möglichen liegt, den Marathon unter neun Stunden zu finishen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich zwar alleine, habe aber noch erstaunlich viel Druck auf den Pedalen. Unterwegs sammele ich noch ein Mädel ein, ehe wir auf eine größere Gruppe aufschließen, mit welcher ich schließlich nach Zernez ins Ziel komme - nach 8:59:36 ! :D

Der Marathon ist eine tolle Veranstaltung - nicht nur, weil ich es geschafft habe meine persönlichen Ziele zu erreichen und zu unterbieten. Der Marathon bietet eine gute Organisation (im Vorfeld, Briefing, Streckenposten, Motorradmarshalls, Verpflegung), eine tolle Landschaft und namhafte Pässe. Hierfür lohnt es sich auch aus dem hohen Norden anzureisen! :D

Viele Grüße
Stephan
"Ist das vielleicht schlau mit 95km/h den Berg runter zu fahren auf 21mm breiten Reifen mit einer klassischen Seilzugbremse, dann wirst Du Dir für Dich sagen: Ist nicht wirklich schlau!"
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Re: Engadin Radmarathon, Zernez CH (Bericht)

Beitragvon hanseat » 04.08.2011, 19:32

kraton77 hat geschrieben:Zwei Wochen vor dem Event ging es bei mir auf der Arbeit drunter und drüber
Ähem, ja, unruhige Zeiten bei uns..

Schön, Deine Erfahrungen jetzt noch mal detailliert zu lesen. Bin gespannt auf Deine weiteren Event-Erlebnisse in der großen Alpenbergwelt...

Ist schon manchmal beneidenswert, nur die Hälfte der Anreisestrecke in die Alpen zu haben.
"Mr. Nachkommastelle"
...wir sitzen alle in einem Boot, die einen rudern und die anderen genießen die Aussicht...

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