Arlberg Giro 2016 oder „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!“
Im April von der Verlosung des Startplatzes mit Übernachtung für den Arlberg Giro 2016 auf HFS erfahren und siehe da, bei 3 Bewerbern für 3 Plätze auch gewonnen. Zusammen mit Ötzy die logistische Herausforderung der An- und Abreise geplant. Alles lief, nur die Vorbereitung aufs Bergfahren fiel eher dünn aus, und auch meine Aktivitäten auf Langstrecken waren überschaubar. Es waren 130 km am Stück meine längste Tour bis dahin. So rückte der Tag der Wahrheit unerbittlich immer näher, und mir begann ein wenig der Stift zu gehen. Da hilft nur ein detaillierter Plan, den ich ein paar Tage vor Start auf HFS kundtat:
Ötzy und ich (eventuell können wir ja noch andere HFS-Foristi rekrutieren) rollen Kräfte schonend den Arlberg-Pass hinauf und versuchen im weiteren Verlauf locker Anschluss zu halten. Im Anstieg zur Bielerhöhe werden wir zahlenmäßig größere Teams nutzen, um uns auf den Berg schleppen zu lassen. Ab dann wird es spannend, nun wird sich Ötzy in rasanter Weise den Berg hinunter stürzen und versuchen, vorne raus zu fahren, um das Feld zu sprengen. Im letzten Anstieg nach St. Anton hoffe ich dann Ötzy als Relaisstation nutzen zu können, um mich wenig später im Alleingang gnadenlos zu exponieren und als Gewinner ins Ziel zu kommen (lt. Knud Wochenvorschau: "Gewinner wird, wer Rad fahrend ins Ziel kommt").
Ich fand den Plan nicht schlecht, wurde jedoch mehrfach dafür belächelt, aber alles der Reihe nach.
Es ist 3:00 Uhr morgens am 30.07. Ötzy rollt vor meine Haustür, wir werfen mein Rad und meine Sachen ins Auto und auf geht es. „Der Berg ruft“. Der Verkehr hält sich in Grenzen und es geht gut voran. Während der Fahrt erzählt mir Ötzy, er hätte geträumt, er sei eine Relaisstation. Ich muss schmunzeln, hat mein Plan doch Wirkung gezeigt. Gegen 13:00 Uhr rollen wir in St. Anton ein, die Sonne scheint, ein perfekter Tag. Wir beziehen unser Hotel und treffen uns anschließend mit UweK, Kanarienvogel und seiner Frau im Cafe zu einer kleinen Nahrungsaufnahme.
(Bild von Kanarienvogel)
Dann geht es zur Abholung der Startunterlagen, gut organisiert und somit unkompliziert vollziehen wir den Pflichtteil. Es juckt in den Beinen, Ötzy und ich beschließen eine Testrunde hinauf zum Arlbergpass zu drehen. Gesagt getan, sitzen wir auf den Rädern und schon nach wenigen Metern ist klar, der Klingberg ist kein Maßstab für das, was uns erwarten sollte. Wir strampeln ein Stück zusammen, und Ötzy wird langsamer, mir fällt es schwer bei der Frequenz die Kurbel zu drehen und so gehe ich vorbei und fahre mein Tempo. Nach 3 km kam erstmals der Gedanke, abzusteigen, zu warten und sich kurz erholen. Aber wie wieder weg kommen, wenn man hier bei 10-12% Steigung steht? Also weiter treten, treten, treten… Es wird etwas flacher und ich nehme Fahrt auf, es geht durch einen Tunnel und eine letzte Rampe hinauf, dann ist es geschafft. Ich setze mich auf eine Bank und warte auf Ötzy, der kurz nach mir eintrifft. Seine Frage, ob ich das erste Hefeweizen schon aus hätte, muss ich verneinen. Wir halten uns nicht lange auf, denn hier oben wehte ein frisches Lüftchen, also Abfahrt nach dem "Passfoto".
Alles, was ich bergauf an Zeit raus fahren kann, nimmt Ötzy mir in der Abfahrt locker wieder ab, da bin ich nämlich ein wenig zurückhaltender, um es mal diplomatisch auszudrücken. Die heutigen Erkenntnisse sollten im Abgleich mit meinem Plan unsere Taktik für den nächsten Tag bestimmen.
Wir machten uns frisch und sahen uns das Profi-Kriterium Rennen der Frauen und Männer an. Ein Hammer Stadtkurs – Steigungen, enge Kurven, Kopfsteinpflaster - nichts für Weicheier! Wäre auch als QPE-Kurs durchgegangen. Es wird Zeit zu essen, wir suchen ein Lokal und ich zeige Teil zwei meines Plans, eine Marschtabelle. Von mir errechnete Endzeit 6h:14min:28s. Wieder werde ich belächelt. Diesmal wahrscheinlich zu recht, denn der Wetterbericht sagt Regen, Blitz und Donner voraus, diese Bedingungen könnten sich natürlich, da nicht kalkulierbar, extrem negativ auf meine Berechnungen auswirken. Kommt Zeit, kommt „Rad“ und ändern können wir es eh nicht. Der Tag war lang, wir verabschieden uns, versuchen so gut wie es geht, zu schlafen.
5:20 Uhr am 31.07.: der Wecker muss nicht arbeiten, denn wir sind schon wach, ein wenig Frühstück und letzte Präparierung fürs Rennen. Kurze Absprache, die Taktik ist klar, es macht keinen Sinn aufeinander zu warten, denn unsere Stärken und Schwächen liegen zu weit auseinander. Wir rollen zum Start, es ist trocken – noch! Wir treffen UweK, und auch Kanarienvogel trifft ein, gemeinsames HFS-Foto, und schon schicken uns die Offiziellen auf die Reise.
(Bild von Marion)
Neutralisierter Start bis zum Ortsausgang und dann direkt gegen die Wand. Es gibt Angenehmeres um 7:10 Uhr an einem Sonntagmorgen, aber wir sind ja nicht zum Jammern her gekommen. Also wieder treten, treten, treten…. Es beginnt zu regnen, Ötzy wird langsamer und von vorn kommen uns die ersten Fahrer wieder entgegen. Rennabbruch, zu Nass, keine Lust mehr??? Ich trete weiter, dem Gipfel entgegen. Am Ende des Tunnels steige ich vom Rad und ziehe eine Jacke an und ein Funktionstuch auf den Kopf. Ich steige aufs Rad, und Ötzy rollt vorbei, gemeinsam nehmen wir den Pass, um uns wenige Meter später in der Abfahrt wieder zu verlieren. Die Straßen sind nass, war ich gestern nur zurückhaltend, bin ich heute vorsichtig, but „Safety first“. Es läuft gut, ich fahre weite Strecken allein, da es immer leicht bergab geht, ist es kein Problem. In Bludenz Richtungswechsel und es geht wieder kaum spürbar aber stetig bergauf. Immer wieder gibt es Tunneldurchfahrten, es ist laut, es ist stickig, es nervt, aber es ist wenigstens kurzzeitig mal trocken. Es hört auf zu regnen, die Temperatur unter Tuch und Jacke steigt und wird unangenehm, noch 5 km bis zur ersten Verpflegung, es wird schon gehen, einen zusätzlichen „Stopp“ möchte ich vermeiden. Dann das erlösende Schild „Buffet“, ich entledige mich meiner Kleider und führe Nahrung zu, rauf aufs Rad und weiter geht es. Der Boxenstopp war kürzer als geplant, was meinen Zeitplan freut. Die Steigungsprozente nehmen wieder zu, und dann steht es Weiß auf Blau am Straßenrand: „Silvretta-Hochalpenstraße“, die Stunde der Wahrheit war gekommen. Anhand des Höhenprofils dachte ich im Vorwege noch, naja ist länger aber nicht so steil wie der Arlbergpass, ganz ehrlich, ich konnte auf den ersten Kilometern keinen Unterschied feststellen. Eher im Gegenteil, hatte ich doch zeitweise das Gefühl, hier noch steilere Passagen bezwingen zu müssen. Es dauerte wirklich lange, bis ich einen Rhythmus gefunden habe, der sich gefühlt erst auf halber Höhe einstellte. Die ersten der von 1-30 durchnummerierten Kehren waren eine Qual, dann ein Schild für die Bergwertung „King/Queen of the mountain“. Ich dachte nur, ihr habt Sorgen, ich bin schon froh, wenn ich lebend oben ankomme. So ein Aufstieg ist nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch mental eine Höchstleistung, zumal mein „Edelhelfer“ Stefan heute nicht an meiner Seite war. So war ich auf mich allein gestellt und musste immer wieder an meine schwersten Bergankünfte denken, um mich zu motivieren. Ab und an wagte ich einen Blick über den Straßenrand in die Tiefe und sah wie sich ein Band aus bunten Trikots den Berg hinauf schlängelte. In dem Moment schwer vorstellbar, sich gerade selbst noch dort „unten“ hinauf gequält zu haben. Ab der Mitte läuft es besser, und mit guter Technik fresse ich Kehre um Kehre (hoch anfahren und Schwung mitnehmen). Dann ein flacheres Stück entlang eines Sees. Es rollt und mit zunehmender Geschwindigkeit beginne ich zu frieren. Aber die nächste Steigung lässt nicht lange auf sich warten. Ich trete wieder rein, und ein krampfartiger Schmerz zieht durch den Oberschenkel vom Knie in Richtung Hüfte. Vor mir die Fotografin, ich setze trotz Schmerz mein schönstes Lächeln auf und versuche mit rundem Tritt auf sie zuzurollen. Sie drückt ab und wünscht mir mit Daumen hoch eine gute Fahrt. Ich greife sofort zum Gel und verschütte wie immer die Hälfte über mein Fahrrad, was mir heute wirklich Schei…. egal war, spüle mit einer halben Trinkflasche nach und bekomme das krampfartige Ziehen in den Griff. Die Bäume sind nicht mehr vorhanden, die letzten Schneefelder liegen auf Augenhöhe, der Gipfel ist in Sicht. Es geht leicht bergab, bevor es in den letzten kurzen aber nochmal fordernden Anstieg geht, dann ist es geschafft – Bielerhöhe 2032m über Meer. Ein toller Ausblick nach den Mühen.
Ich bewege mich Richtung Verpflegung und sehe Ötzy bei der Nahrungsaufnahme, wir wechseln ein paar Worte, und wie auch immer verpassen wir die gemeinsame Abfahrt. Wäre eh nur ein kurzes Vergnügen gewesen und von daher im Nachhinein nicht tragisch.
Auch diesen Stopp halte ich kurz, ziehe mir wieder was über, und bei Abfahrt von dem Depot sind 4 Stunden seit Start vergangen, ich liege fast punktgenau auf meinem Zeitplan. Die ersten wenigen steilen Kehren fahre ich wieder sehr besonnen, schnell wird es weniger steil, und die Straßen zeigen erste trockene Flecken, endlich kann ich es mal flott laufen lassen. Bis zum nächsten Depot sollte es jetzt fast 35 km gemäßigt bergab gehen. Ich finde eine gute Gruppe und so schneiden wir mit Geschwindigkeiten zwischen 40-50 km/h durch die Landschaft, kleinere Wellen werden locker weggedrückt. Schon sind wir an der 3 Verpflegung, das gleiche Spiel: Sachen aus, Nahrung fassen, rauf aufs Rad. Die letzten 25 km, ich fühle mich gut und stürme wie beflügelt in die letzten 400 Hm. Ich finde einen Mitstreiter, der sich über meine Führungsarbeit freut. Ungefähr 20 km vor dem Ziel erblicke ich im Anstieg ein bekanntes Trikot vor mir und beginne in mich hinein zu grinsen (mein oben beschriebener Plan bekommt Gesicht). Es ist Ötzy, ich schließe zügig auf und rufe von hinten „Ein Traum wird war, du bist eine Relaisstation“. Ich glaube, nur die Funktion derselbigen müssen wir nochmal besprechen. Im Nachgang sagte er mir, er hätte gern etwas für die Führung getan, aber das angeschlagene Tempo war einfach zu hoch. So zogen wir vorbei und davon. In dem nun flacher werden Stück überließ ich meinem Mitstreiter die Führung und musste meinem eigenen Tempo Tribut zollen, indem ich ihn nach wenigen Kilometern ziehen lassen musste. So entstand eine Lücke von nahezu konstant 100 m, als vorne eine kleinere Gruppe auftauchte. Ich zwang mich an meine schwersten Zielankünfte zu denken, hob den Hintern aus dem Sattel und fuhr erst das Loch auf meinen Vordermann zu, um kurz später gemeinsam Anschluss an die Gruppe zu finden. Die letzten 10 km waren dann „Easy Going“. Lockeres ausrollen bei voller Konzentration, um nicht wie so oft gesehen, auf den letzten Metern noch in einen Sturz verwickelt zu werden. Dann waren sie da, das Ortsschild und die „Flamme Rouge“. Es begann ein echt emotionaler letzter Kilometer. Als Gruppe rollten wir unter dem Beifall der Zuschauer die leicht ansteigende Zielgerade hinauf, um dann von den Moderatoren im Ziel begrüßt zu werden. Das hatte schon ein wenig was vom Einzug der Gladiatoren. Ich war so glücklich, mit der für mich tollen Leistung im Ziel zu sein, dass ich mir meinen obligatorischen Tränenausbruch nach solchen Events nicht verkneifen konnte und wollte. So brauchte ich 2-3 Minuten, bis ich mich auf den Weg zu UweK und Marion machen konnte, die kurz vor der Ziellinie am Streckenrand standen. Ich hatte auf der Zielgeraden wohl noch soviel Dampf, dass Marion nur den Rest (siehe rechte Ecke) von mir aufs Foto bekam.
(Bild von Marion)
Kaum dort angekommen, rollte auch Ötzy schon die Zielgerade hinauf, letzte Anfeuerung, dann hatte auch er es geschafft. Ach ja, meine Zeitvorgabe, kurze Pausen und ein flotter letzter Abschnitt brachten mir eine Endzeit von 5h:51min:36s, und auch Ötzy blieb mit 5h56min deutlich unter meiner errechneten Zielzeit. Das hatten wir so nicht erwartet und machte uns doppelt stolz auf die erbrachte Leistung.
(Bild von Marion)
Meine Frau und Kinder sind an solchen Tagen oft nervöser als ich, also gebe ich Entwarnung in die Heimat und sorge für Entspannung bei den Lieben. Da Kanarienvogel noch etwas brauchen würde, holten wir uns fix unsere Finisher-Trikots und warfen uns in trockene Klamotten, um rechtzeitig zu seinem Zieleinlauf wieder an der Strecke zu sein.
Gesagt, getan – 15:00 Uhr waren wir wieder zurück, eine große Gewinnerbrause geordert und Zeit für eine erste Analyse.
Obwohl Ötzy und ich zeitlich fast immer nah bei einander waren, fuhr doch jeder sein eigenes Rennen, mit seinen eigenen kleinen Besonderheiten. Für mich extrem überraschend, ich hatte nicht eine einzige kritische Situation, was das ganze aus der Sicht super entspannt machte. Die Uhr tickt unaufhaltsam weiter und leichte Nervosität macht sich breit, doch dann kommt auch Kanarienvogel mit zwei weiteren Fahrern ins Ziel. Erleichterung bei uns allen, und so langsam fällt die Anspannung des Tages von den Schultern. Wir gönnen uns noch eine Pause, bevor wir uns zum Abendessen wiedersehen. Nahrungsaufnahme ist ganz hoch angesiedelt, es bleibt aber auch Zeit für die eine oder andere Geschichte von der Strecke. Es ist noch keine 20:00 Uhr und Ötzy und ich gähnen bereits um die Wette. Die 2 langen Tage haben ihre Spuren hinterlassen, und nächsten Tag sollte es früh zurück nach Hamburg gehen. So leeren wir die Gläser und verabschieden uns von den Foris, um wenig später im Bett zu liegen. Im Gegensatz zu Ötzy schlafe ich schnell und gut ein. Der nächste Morgen, Ötzy sieht aus als käme er direkt von der Strecke, ich habe lieber nicht in den Spiegel geschaut. Wir frühstücken, packen unsere Sachen und sitzen wieder im Auto. Der Verkehr ist zäh und wir sind froh als wir gegen 17:30 Uhr wieder aufs heimische Gehöft rollen.
Ein toller, aber auch extrem anstrengender Ausflug geht zu Ende.
An dieser Stelle möchte ich „Danke“ sagen:
- HFS für die Verlosung
- meiner Familie, die mich und meinen Sport unterstützt
- Ötzy fürs Fahren, Trinkflaschen und Trikot
- Ötzy, UweK, Kanarienvogel und Marion für die gemeinsame Zeit
- dem Veranstalter für die Organisation
- der Pension in der wir untergebracht waren
- und allen, die irgendwie beteiligt waren und hier nicht genannt sind unbekannter Weise.
In diesem Sinne
Game on! Gruß Mario