Sportsfreund Lötzsch: Vom Podium in den Knast

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Janibal
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Sportsfreund Lötzsch: Vom Podium in den Knast

Beitragvon Janibal » 16.10.2013, 21:07

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Das Metropolis-Kino lud zu dem Film "Sportfreund Lötzsch" über die ungewöhnliche Radsportkarriere von Wolfgang Lötzsch in der DDR ein. Mit dabei: Sandra Prechtel, eine der beiden Regisseurinnen (Sascha Hilpert war entschuldigt) und Sportsfreund Wolfgang Lötzsch unter der Moderation von Cornelia Klauß (Filmemacherin).

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Nach einer kurzen Einleitung durch Frau Klauß ging der Vorhang auf. Original-Dokumente von Rund um Berlin und anderen Rennen untermauerten die Aussagen von Wolfgang, seinen Frauen, seinem Trainer, dem Bahnleiter und dem Stasimayor. Es wird in dem Film auf eine Moderation verzichtet, wie bei dem Tag der Norddeutschen. Die Protagonisten machen es zu einem authentsichen Film.

Der Stasimayor ist bis heute ungeheilt und glaubt immer noch an die Ideologie der DDR. Maßgeblich hat er die Karriere von Wolfgang unterdrückt und auch zerstört. Wolfgang gehörte nie zum staatlich geförderten Radsportprogramm und hat bei der nationalen Meisterschaft der DDR den Huschke (Nachkomme von dem Huschke) besiegt. Trotzdem und weil er nicht staatstreu ist, darf er nicht zu den Weltausscheidungen. Dabei hat sein Vater nur gesagt, der Wolfgang will Radfahren. Er hätte Radfahren und vaterlandsverliebt sein sollen. So wurde ihm die Unterstützung genommen, seine damalige Freundin übernahm das Begleitfahrzeug. Irgendwann stürtzte er schwer und hatte einen Schädelbruch, es ist aber Hilfeverbot ideologischer Weise erlassen worden und so bleibt er liegen, die Beigleitfahrzeuge fahren vorbei. Einer kann es nicht mit ansehen und hilft.

Nach ein paar Wochen sitzt Lötzsch wieder im Sattel. Unverkennbar. Ganz ruhiger Oberkörper und kraftvoller Tritt. So explodierten viele seiner Konkurrenten am Berg neben ihm. Bis zu 60.000 km Jahreskilometer geben Wolfgang die Grundlage. Nur die Stasi nervt, kann aber nichts machen, außer 2.000 Blatt füllen und über 20 IM ansetzten. Irgendwann kommt Lötzsch ins Gefängnis, wegen einem Strafzettel. 10 Monate. Ein Gefängnis ohne Orientierung. Die Insassen werden in geschlossen Bussen ins Gefängnis gebracht, dort sind alle Fenster in 3 m Höhe, wenn überhaupt. Kein Ausgang. Tausende Liegestütz halten Wolfgang am Leben. Bei den Gedanken an diese Zeit, stehen die Tränen in seinen Augen.

Als er wieder an der frischen Luft ist, gewinnt er wieder gegen die sportgeförderten Radfahrer der DDR. Es wird ihm die Siegerehrung verwehrt und Rennen werden in der Wertigkeit auf belanglos herabgestuft, je nach Sieger.

Die Wende kommt zu spät, Wolfgang ist 41 und gewinnt nur noch lokale Rennen. Nie durfte er zur Friedensfahrt, dieser Sieg fehlt bei seinen 550. Heute dreht er weiter seine Runden, die Million Km sind voll und er fährt auch auf einen Plastikrad. Gerne aber auch dem roten Stahlrad, das er persönlich von Eddy Merckx bekommen hat. Zwischen beiden stand lange die Stasi und ihr Schutzwall gegen die Imperialisten. Aber das Lachen hat die Stasi ihm nicht nehmen können.

In der anschließenden Gesprächsrunde wurde viel über die Unterdrücker gesprochen, wobei hier sich auch Wolf Biermann aus dem Publikum meldete. Ihm wurden 68.000 Seiten Stasipapier und über 200 IM zugeteilt, bis er ausgewiesen wurde.

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Ich finde, wir sollten mal eine Runde mit oder von Wolfgang Lötzsch ausweisen, inclusive Besuch seiner Beugeanstalt und der Radbahn, wo er DDR-Meister geworden ist.

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St. Jan
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hanseat
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Beitragvon hanseat » 17.10.2013, 11:25

Solchen Ikonen so nah zu sein und ihnen zuzuhören und das noch gratis, war schon eine tolle Erfahrung.

Der Film hat mir sehr gut gefallen, gerade weil er das Buch nicht nochmal erzählt, sondern man aufgrund der Interviews noch mehr spannende Details erfährt.

Vielen Dank Thali für diesen genialen Tipp und Janibal für das sehr gelungene Resumee. Keep Smiling, Jan!
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...wir sitzen alle in einem Boot, die einen rudern und die anderen genießen die Aussicht...
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Beitragvon Helmut » 20.10.2013, 03:18

Der Tag der Filmvorführung in Gegenwart von Wolfgang war mein erster Arbeitstag nach vier Wochen Urlaub. Als erste Aktion an meinem Arbeitsplatz wechselte ich das Kalenderblatt meines Fahrstil-Kalenders auf Oktober. Der ist zu meiner Freude und Überraschung mit einem Bild von Wolfgang illustriert. Er wusste nichts davon, nur, dass er für die Zeitschrift Fahrstil abgelichtet wurde.

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Gefreut hat mich auch, dass an einem Abend, an dem die Deutsche Fussball-Nationalmanschaft gegen Schweden spielte, so viele HFS-Foristis den Weg ins Kino fanden, einige auch hinterher ins Irish Rover.

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Wolf Biermann – wenn auch "nur" als Mensch, nicht als Künstler – einmal persönlich zu erleben, war für mich ein weiteres Glanzlicht dieses Abends.

Es war ein alter Traum von mir diesen Film in Gegenwart von Wolfgang zu zeigen, hatte - leider erfolglos - nach Sponsoren dafür gesucht. Unabhängig davon hat die Hamburger Kulturförderung nun diesen Traum verwirklicht. Denen gilt mein Dank - und Thali, weil er dies für uns aufgespürt hat.

Hier kommen meine

<a target="_blank" href="http://bilder.helmuts-fahrrad-seiten.de ... x.html">17 Bilder von Wolfgang Lötzsch im Metropolis Kino in Hamburg</a>.

Wer nicht dabei war oder es nochmals nacherleben möchte, bestelle die <a target="_blank" href="http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/B ... ra-21">DVD "Sportsfreund Lötzsch"</a> oder das <a target="_blank" href="http://www.covadonga.de/shop/detail.php ... at=1">Buch "Lötzsch"</a>.
Wenn's um die Wurst geht, sollte man gut abschneiden.
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Stauder Volker
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Beitragvon Stauder Volker » 20.10.2013, 11:13

Für mich war es ein bewegter Kino- und Diskussionsabend, der durch die überraschende Anwesenheit von Wolf Biermann noch mehr Aufmerksamkeit erfuhr.

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Die Filminhalte und auch Wolfgang Lötzsch gaben für mich einen authentisch die Verhältnisse und Umstände in dieser Zeit des Regimes wieder. Hier wurde der sanfte Wunsch eines begnadeten Rennradfahrers durch das System des Staates (der letztlich an sich selbst scheiterte) auf brutale Art und Weise zerstört.

Hoher Respekt gebührt auch seinen Wegbegleitern in den einzelnen Etappen seines Sportlerlebens. Sie haben Wagemut bewiesen, auch wenn es zu ihrem Nachteil führte, weil Sie von der Sache im Gesamten überzeugt waren.

Danke Janibal für das umfassende Resumee. Danke auch an die Hamburger Kulturförderung. Hier erfolgte nach meiner Beurteilung eine zweckmäßige Mittelverwendung!
Im Vordergrund steht der Spaß und das Team
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Beitragvon Knud » 27.11.2013, 22:12

Mich hat dieser Abend auch schwer beeindruckt.

Kommentare sind in so einem Film gar nicht nötig. Auch Stasi-Majore sind auf ihre Weise authentisch. Vielleicht versteht man als Wessi gerade so, wie weit die Willkür ging. Am heftigsten war für mich mal wieder eine Nebenbemerkung. Wie verbissen und maßlos muß die Stasi gewesen sein, wenn eine Sportlerkarriere beendet wird, nur weil jemand sich zu Lötzsch aufs Podium stellt und seinen 2. Platz akzeptiert.

Wolfgang Lötzsch scheint seinen Frieden gefunden zu haben. Ein Held ist er für mich allemal.

Knud

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