Aus „familiären“ Gründen bin ich mehrfach im Jahr zu Besuch in Bielefeld und irgendwann reifte der Gedanke, dass man diese Strecke „als kleine Herausforderung“ auch einmal mit dem Rennrad zurücklegen könnte. Ein Blick auf gpsies.com offenbarte mir, dass sich bei relativ direktem Streckenverlauf immerhin rund 230 km Streckenlänge ergeben. Das ist weit, aber grundsätzlich nicht unschaffbar. Vor zehn Jahren bin ich ja auch einige Nordcups mitgefahren, die auch jeweils über 200 km lang sind… Schlecht einzuschätzen ist allerdings, wie lange es dauern würde, nach so einer Tour wieder halbwegs regeneriert zu sein. Also kommt nur ein Freitag in Frage, damit am Montag wieder die Arbeit beginnen kann. Einen ersten „Versuch“ nach Himmelfahrt konnte ich leider nicht in die Tat umsetzen, da ich erkältungs- und trainingsbedingt noch nicht in der Lage für eine solche Langstrecke war (die Brevet-Fahrer mögen mir verzeihen, aber für mich ist und bleibt alles über 150 km Langstrecke). Kurzfristig ergab sich nun, zu einer Taufe nach Bielefeld zu reisen. Auch mein Chef spielte mit und gewährte mir für Freitag Urlaub. Mein Trainingszustand war jetzt erheblich besser und die 230 Kilometer habe ich am vergangenen Wochenende an zwei Tagen „geübt“ (Rund Hamburg Halbe und RTF in Wedel).
Die Wettervorhersage wechselte noch reichlich, klar wurde aber, dass die Temperaturen doch spürbar über 30 Grad liegen würden. Die Regenvorhersage war unklar und der Wind hatte sich auch noch nicht festgelegt. Folgende „Ungewissheiten“ kamen daher auf:
- - Spielt das Wetter mit? Genauer: Gibt es (zu viel) Regen? Wird es zu warm? Kommt der Wind aus der falschen Richtung (Süd/Südwest)?
- Bin ich fit genug für 230 Kilometer?
- Spielt mein Popo/Rücken/Nacken/Knie mit?
- Hält das Material?
- Finde ich „meine Strecke“ ohne (größere) Umwege?
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Dieses „Zielfindungsgesamtpaket“ sollte es also richten. Die Strecke verlief über möglichst kleine Straßen an Bremen vorbei.
Freitag ging es dann frühmorgens los, leider nicht so richtig ausgeschlafen – dafür motiviert.
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Der Morgen empfing mich mit strahlendem Sonnenschein, so dass die Fährfahrt von Blankenese nach Cranz bzw. Neuenfelde, da Cranz nicht angelaufen wurde, einen guten Tag erwarten ließ. Unser „Vereins-Leuchtturm“ verabschiedete sich also bei bestem Wetter.
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In Buxtehude stieß ich dann auf ein potentielles Motto meiner Tour: „Schlau, wer schon da ist“. Da waren allerdings noch über 200 km zu absolvieren…
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Hinter Buxtehude zogen dann Wolken auf, so hatte ich mir das Wetter nicht vorgestellt. Und mir fiel ein, dass es durchaus schlau gewesen wäre, sich nicht auf den Wetterbericht vom Vortag zu verlassen, sondern auch am Morgen nochmal nachzuschauen. Zu spät. Bald darauf machte ich Bekanntschaft mit „Sprühnebel“ und leichtem Regen. Nicht so schlimm wie ein Schauer, aber auch nicht schön. Vor allem wurden die Straßen feucht und ich dreckig… Wo waren denn die angesagten 30 Grad und mehr geblieben? Ich hatte doch extra auf Armlinge verzichtet! Mit etwa 19 Grad war die Feuchtigkeit aber zu ertragen. Der Gedanke, dass es länger dauern könnte, bis es trocken wird, schon weniger.
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"Wohnste noch oder lebst Du schon?" - Bei einsetzendem Nieselregen konnte mich diese Schilderkombi wenigstens ein wenig erheitern...
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Eine interessante Gefahr, vor der hier gewarnt wird. Allerdings zeigte sich beim Blick auf die Gleise, dass hier schon länger keine Gefahr droht: Büsche und Gräser eroberten die Bahnstrecke, so dass an Draisinenfahrten derzeit nicht zu denken ist... (leider ohne Bild)
Nach rund 60 Kilometern, die ich ohne nennenswerte Leistungseinbußen absolviert habe, ein tröstender Gedanke „schon mehr als ein Viertel absolviert“.
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Zwischendurch Skepsis: "Hört das mit dem Regen jetzt wirklich auf?"
Bei Kilometer 75: „fast ein Drittel geschafft“. Nun wurde es auch trocken und warm - sehr warm, je länger ich fuhr. Das fand ich zunächst ganz gut. Später wäre weniger aber mehr gewesen.
In Achim bei Bremen hatte ich dann meinen topografisch ersten richtig spürbaren Abschnitt absolviert.
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Rund 92 km vorbei und der Radweg lockte mehr als die Straße (das hielt allerdings nicht lange an).
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Schöne Ausblicke gab es an der Weser (allerdings gegen die Fahrtrichtung gesehen).
Kurz hinter Bremen erreichte ich Werder (spricht man das nicht sonst anders herum)? Dieser geografische Fakt brachte mich zu der Erkenntnis, dass der Bundesligaverein vielleicht seine Wurzeln in diesem kleinen Örtchen hat. Weiß das jemand genauer?
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In Werder selbst gibt es eine Straußenfarm, die Vögel waren aber wohl alle vor der Hitze geflüchtet, der einzige Hinweis blieb dieses Schild.
Häufig stieß ich unterwegs auf Erntefahrzeuge - die Sommerernte in Norddeutschland ist im vollen Gange...
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Nicht immer sah dies so schön aus wie hier, manchmal kam es gar zu gefährlichen Situationen, weil der Weg durch "Erntestaub" nicht mehr erkennbar war...
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Ich habe mich bemüht, schöne Nebenstrecken zu finden, also wenn möglich asphaltierte Wirtschaftswege. Das hat, wie man hier sieht, überwiegend gut geklappt.
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Ergebnis: Gute Laune auch bei mir...
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Eine weitere interessante "Gefahr" auf meinem Weg: Boßeln ist in Niedersachsen Volkssport... War aber wohl etwas zu heiß, auf der geraden Boßelstrecke war jedenfalls keiner zu sehen...
Interessanter Weise sind mir auch nur sehr wenig Rennradfahrer begegnet. Den Tag über insgesamt weniger als 10. Und weder bin ich überholt worden, noch habe ich jemanden überholt... Langweilig war es trotzdem nicht.
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Wenig zu sehen gab es vom Großen Renzeler Moor. Das sah auf der Karte imposanter aus...
Zwei Kilometer weiter dachte ich, ich wäre in eine Bauernhochzeit geraten. Kutschen, Musik und viele Leute auf einem Bauernhof...
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Diese Einschätzung erwies sich als falsch. Das Schützenfest bereitete sich auf das Schützenfest vor (oder so ähnlich). Das Schützenkönigspaar auf Kutsche vorweg und das Schützenvolk mit musizierendem Spielmannszug und Begleittross hinterher... Doch anstelle auf die Straße einzubiegen, marschierte der Zug geradewegs in den bereit gestellten Gelenkbus.
Fand ich etwas schräg, vor allem weil die Kapelle "Mus i denn zum Städele hinaus" spielte und von einer Stadt oder überhaupt einer Ortschaft meilenweit nichts zu sehen war. Und der Stadel=Stall war wohl auch nicht gemeint...
Um eine skurile Erfahrung reicher, erreichte ich dann bald auch Nordrhein-Westfalen. Zwischendurch habe ich meinen Hunger und Durst noch zweimal gestillt. Je länger ich unterwegs war, merkte ich allerdings, dass die Nahrungsaufnahme aufgrund der Hitze immer schwerer fiel und es primär auf Flüssigkeits- und Salzersatz ankam...
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In Wehe musste ich dann auch an "Wehe..." denken.
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Hier musste ich dann eher an "Hallo Spencer" denken, wo "Lulu" auch in einem Waggon lebt, bzw. an die "Mitropa-Duschhaube" von Hape Kerkeling... Hier handelt es sich allerdings um das Gelände der Museumsbahn in Rahden.
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Es dauerte dann nicht mehr lange, bis sich ein welligeres Profil am Horizont abzeichnete. Diesen Umstand hatte ich bisher gekonnt ignoriert und war auch schon mit der streckenbedingten Erschöpfung beschäftigt...
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Das sieht dann so aus...
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Hier dachte ich dann nur noch "Mist, muss ich da wirklich rüber?!"
Am Mittellandkanal gab es noch eine interessante Begegnung. Zwei Anfang Zwanzigjährige standen in Badeklamotten auf der Brücke und sahen so aus, hier ins Wasser springen zu wollen. Meine Äußerung "Ihr seid ja mutig" taten sie mit der Begründung, dass das ja jeder könne - auch ich, ab. Um nicht eine unnötige Mutprobe absolvieren zu müssen, verwies ich auf meine bisher gefahrene Strecke und dass ich froh wäre, wenn ich jetzt bald ankäme. Wir versicherten uns dann unser gegenseitigen Hochachtung angesichts unserer jeweiligen sportlichen Leistung und die Wege trennten sich wieder.
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Sogar hier war mir gar nicht nach einem Bier zumute...
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14 Kilometer vor dem Ziel gab es dann endlich erste Hinweise auf die Nähe Bielefelds und pünktlich zur Tagesschau war es dann endlich geschafft!
Mein Fahrrad hat perfekt mitgespielt, es gab keinen Defekt, obwohl der Belag auf dem einen oder anderen Kilometer durchaus zu wünschen übrig ließ oder von Steinen übersät war...
Die Vorplanung kam mir im Nachhinein doch sehr "deutsch" vor (an alles denken, nicht einfach spontan losfahren), allerdings hat es aber wohl genau aus diesem Grund sehr gut geklappt. Die Strecke hat mir gut gefallen, die Einteilung der Leistungsreserven hat geklappt und ohne (Gegen-)Wind wäre sicher noch der eine oder andere Stundenkilometer mehr drin gewesen. So ist es ein Durchschnitt von 23,32 km/h geworden auf 230,33 Kilometern. Ich habe 9 Stunden, 42 Minuten und 37 Sekunden im Sattel verbracht und war von 7.15 bis 20.00 Uhr unterwegs. Aber es hat sich gelohnt! Ich habe meine Beine zwar hinterher gespürt, aber vom befürchteten Muskelkater und völligem Zusammenbruch war zum Glück nichts zu spüren. Zum Brevetfahrer werde ich wohl allerdings trotzdem nicht werden. Dafür habe ich zu deutlich gefühlt, dass meine Leistungsgrenze bei 200 bis 250 km liegen dürfte...
Arne
Die verwendeten und weitere Fotos in größerer Auflösung gibt es hier:
http://www.rsg-blankenese.de/fotos-und- ... feld-tour/